Einleitung
Alterität und Grenzüberschreitung sind eng miteinander verbundene Konzepte. Nach Schneider ist Alterität ein Relationsbegriff, d.h. ein Begriff, der ein Differenzverhältnis zwischen Subjekt und Objekt, Subjekt und Ko-Subjekt sowie zwischen Kollektiven beschreibt. Es bezieht sich auf das Verhältnis eines Subjekts zu sich selbst oder geht über die vorausgesetzten kollektiven oder individuellen Einheiten hinaus, indem er die Differenzen zwischen und innerhalb von Systemzusammenhängen bestimmt (vgl. Schneider 2009 : 34). Schneiders Definition betont die Beschaffenheit der Alterität als Relationsbegriff, der im Grunde die Vielfalt der Beziehungen zwischen Subjekten, Objekten, und Kollektiven sowie die Reflexion über Unterschiede innerhalb von kulturellen Systemen hervorhebt. Dieser holistische Ansatz setzt außerdem ein Grenzüberschreitungsprinzip voraus. In jeder Gesellschaft gibt es jedoch Erwartungen, Gesetze und Normen, die von denen anderer Gesellschaften abweichen. Diese regeln, was üblich und was von kulturellen Normen in einer Gesellschaft abweichend ist, was erlaubt und was nicht. Somit werden die Ersten als Grenzen zwischen den Gemeinschaften betrachtet. In diesem Zusammenhang ist die Rede von einer Überschreitung der kulturellen und räumlichen Grenze (vgl. Schlechtriemen 2021: 1-2). Der hier untersuchte Roman des zeitgenössischen deutschen Schriftstellers Christoph Peters „Selfie mit Sheikh“1 (2017 erschienen)2 rückt eine sinnkonstitutive Alteritätsproblematik in den Mittelpunkt, mittels derer die Handlung aus kulturellen, sozialen, ethnischen und religiösen Gesichtspunkten konstruiert wird. Peters Roman besteht aus mehreren Kapiteln, indem jedes Kapitel seine eigene Handlung hat. Im Verlauf der Erzählung verkörpern einige Protagonisten wie Wolfgang im Kapitel Beim Barte des Propheten, Yussuf im Kapitel Das Schwere und das Leichte sowie die Hauptfigur im Kapitel Der kleine Derwisch usw. dieses facettenreiche Alteritätsbild. In diesem Zusammenhang wird dem Leser vor Augen geführt, inwiefern die Überschreitung kulturell-ideologischer Grenzen die Konstruktion der Alterität ermöglicht. Die Verschlossenheit gegenüber dem Anderen verhindert hingegen den Dialog, was eine verstärkte Grenzziehung zwischen Individuen, Gruppen und Gemeinschaften suggeriert. In Peters Roman werden diese Grenzen in Form von Stereotypen und Vorurteilen hervorgerufen. Der Fokus des vorliegenden Aufsatzes liegt auf der Analyse und Darstellung der komplexen interkulturellen Beziehungsdynamiken zwischen den Figuren, die durch ihre Begegnungen, kulturelle Barrieren überwunden werden können. Dadurch soll die Vielschichtigkeit von Alterität und Grenzüberschreitung im Roman erfasst sowie deren Wechselwirkung zwischen individuellen Erfahrungen und sozialen Image-Konstruktionen untersucht werden.
1. Die Alterität als Begriff, Leitmotiv und Grenzüberschreitung
Die Dynamik von Alterität und Grenzüberschreitung prägt die Interaktion zwischen Menschen und Gemeinschaften, ermöglicht Vorurteile zu überwinden, aber auch den eigenen geistigen, kulturellen und interkulturellen Horizont zu erweitern und intersubjektive Verbindungen jenseits etablierter Grenzen zu schaffen.
Die Begriffe „Fremdheit“ und „Alterität“ teilen einige Gemeinsamkeiten in Bezug auf ihre Bedeutung und ihre Rolle in sozialen und kulturellen Kontexten, wie es beispielweise für Waldenfels’ Konzept des „Fremden“ der Fall ist. Waldenfels zufolge unterteile sich das Fremde auf verschiedene Dimensionen; es tritt als Fremdheit meiner selbst, als Fremdheit der Anderen, als Fremdheit anderer Ordnungen oder als Fremdheit diesseits und jenseits einer jeden Ordnung. Die Fremdheit des oder der Anderen lasse sich auch als Alterität bezeichnen (vgl. Waldenfels in: Becker 2012: 62). Jene Unterteilung, die Waldenfels vornimmt, zeigt nicht nur die vielen Facetten der Fremdheit, sondern indiziert auch einen Konvergenzpunkt zwischen Fremdheit und Alterität. Die Konzeptualisierung jenes Alteritätsbegriffs hinsichtlich der Fremdheitsproblematik der/des Anderen ist ebenfalls relevant, da Alterität sich nicht bloß auf Andersartigkeit, sondern auch die Fremdheit des Anderen gegenüber Eigenem einbezieht. Darüber hinaus ist „Alterität“ ein Begriff, der dazu anregt, sich mit jedweden Differenzen auseinanderzusetzen sowie sie als solche zu akzeptieren. Dementsprechend tritt die Alterität in Peters Roman durch zwei zentrale Verhältniskonstellationen zutage; einerseits die Alterität außerhalb der Heimwelt3, die sich auf die Begegnung mit dem Anderen jenseits der vertrauten Umgebung bezieht. Andererseits besteht die Alterität innerhalb der Heimwelt, die sich auf die Begegnung mit dem Anderen in der vertrauten Umgebung stützt. Gemäß dem oben dargelegten Standpunkt von Waldenfels stimmen die beiden erwähnten Formen der Alterität gewissermaßen mit der Fremdheitsproblematik in Peters’ Text überein. Diese beiden Dimensionen stehen in Wechselwirkung zueinander. Ein entsprechendes Beispiel in Peters‘ Roman liegt, genauer gesagt, im Kapitel Beim Barte des Propheten vor. Der Protagonist Wolfgang verkörpert beide Formen der Alterität. Wolfgang, der aus Deutschland kommt und nach Mekka reist, befindet sich plötzlich mitten einer verschiedenen soziokulturellen Ordnung, wobei er jene Alterität außerhalb der Heimwelt verkörpert. Da er auch Muslim, der zur Sufi-Tariqat gehört, ist, verkörpert er in Mekka die Alterität innerhalb der Heimwelt, d.h. Islamwelt, da er dort nur Wahhabiten, die die Sufis als Nicht-Muslime betrachten, trifft. (Siehe Selfie: 80). Jene Art von räumlich-kultureller Grenzüberschreitung spielt dabei eine wesentliche Rolle, da die eigenen Erfahrungen und Stereotype der Protagonisten durch die Begegnung mit dem Fremden erweitert und relativiert werden können. Denn, wer ausschließlich das Vertraute kennt, kann das Vertraute selbst nicht wirklich verstehen, da wahre Erkenntnis das Wissen um das Andere erfordert (vgl. Schäfer/Wimmer 1999: 6). Davon ausgehend lässt die Grenzüberschreitung nicht nur etablierte Vorurteile und Stereotype abbauen, sondern auch ein tieferes Verständnis für das Andere entstehen.
Peters’ Roman ist eine fesselnde Reise durch verschiedene Kulturräume, die weit mehr als nur Einblick in ihre „Sehenswürdigkeiten“ bietet. Peters erzählt von der Begegnung westlicher Reisenden mit faszinierenden, beinahe unbekannten Gruppen im Orient wie Sufis, Wahhabiten oder auch Belutschen.4 Diese sind tatsächlich Gemeinschaften, die hier eine interkonfessionelle Konstellation herausbilden. Jedes Kapitel des Romans, außer dem ersten und letzten, präsentiert eine einzigartige Hauptfigur und Handlung. Der Roman erkundet die Vielfältigkeit des Orients und des Islam durch die Abenteuer seiner Protagonisten, die eigene kulturelle und räumliche Grenzen zugleich überschreiten. Der Autor zielt darauf ab, gängige Stereotype und Vorurteile zu dekonstruieren sowie die Erfahrung der Andersartigkeit und Fremdheit im Kontext räumlicher und kultureller Grenzüberschreitung zu repräsentieren.
2. Die Konstellationsbilder der Alterität und ihre Grenzüberschreitungen
Aufbauend auf den zuvor dargelegten Überlegungen über die Alteritätsproblematik und Grenzüberschreitung in Peters’ Werk Selfie mit Sheikh wird im Folgenden der Versuch unternommen, die Interaktion zwischen dem Orient und Okzident, die Präsenz des „Anderen“ innerhalb eines internen Gemeinschaftsgefüges sowie das Andere in seiner Randstellung näher zu beleuchten.
2.1. Die facettenreiche Interaktion von Orient und Okzident
Laut Husserls Phänomenologie kann die von allen Menschen wahrgenommene Lebenswelt5 in Heimwelt und Fremdwelt unterschieden werden (vgl. Husserl, in Wang 2012: 37). Die Heimwelt ist uns vertraut und bekannt, und in ihr fühlen wir uns sicher. Sie repräsentiert die Welt, die wir durch unsere Erfahrungen kennen und die uns ein Gefühl von Kontinuität und Stabilität vermittelt. Im Gegensatz dazu umfasst die Fremdwelt alle unbekannten und unvertrauten Ereignisse (vgl. ebd. 47-49). In diesem Zusammenhang kann die dargestellte Beziehung zwischen Orient und Westen in Petersʼ Roman als das Zusammenspiel zweier polarisierter Welten betrachtet werden. Wie oben bereits erwähnt, beleuchtet der Autor die Beziehung zwischen Orient und Westen durch deutsche Protagonisten, die orientalische Länder bereisen. Der Orient wird von ihnen oft als Fremdwelt wahrgenommen, geprägt durch andere Kulturen, andere Sprachen und andere Lebensweisen. Ein treffendes Beispiel hierfür liegt im Kapitel Grüße von Junus. Dabei geht es um einen deutschen Architekten namens Wolfgang Janssen, der in die Türkei, die von ihm als eine Fremdwelt betrachtet wird, reist. Er bewundert die Architektur Istanbuls, dennoch empfindet er Unbehagen und bezeichnet Kopftücher als Symbol für Unterdrückung, die von Vätern und Großvätern gegenüber ihren Töchtern ausgeübt wird:
„Wolfgang Janssen hatte genickt, sich die bärtigen Väter und Großväter unter ihren Strickmützen, Häkelkäppis vorgestellt, die Halbstarken mit Silberkettchen, Muskel-T-Shirts, wie sie ihre schönen Töchter und Schwestern an den Haaren rissen, ihnen den Kopf in den Nacken zerrten, sie in Hinterzimmer schlossen, aushungerten, bis sie ihren freien Kopf mit all den wilden Gedanken in ein Stück schwarzen Polyacrylstoff schnürten .“(Selfie : 26)
Das Kopftuch-Motiv, das im Grunde zur islamischen Kultur gehört, gilt für Janssen aus eurozentrischer Sicht als Freiheitseinschränkung von Frauen. Ähnliche Standpunkte werden auch im Kapitel Pistolen geschildert. Die Figur Roland verliebt sich in eine Pakistanerin namens Meher, die, obwohl sie erwachsen ist, weder in einem Haus allein leben (vgl. Selfie : 49), noch eine uneheliche Liebesbeziehung mit Männern eingehen darf (ebd. : 48). Obwohl solche Praktiken im Islam nicht als Zeichen für Freiheitsbeschränkung, sondern eher des Verantwortungsbewusstseins gelten (vgl. Harth 2012 : 7), ist dies aus Rolands Sicht als Unterdrückung von Meher zu verstehen, da solche Aspekte ihm fremd vorkommen. Auch im Kapitel Strandidyll mit Fremdem wird dasselbe Thema in den Mittelpunkt gerückt. Der Deutsche Martin verliebt sich in eine pakistanische Frau namens Bano, die mit ihren Eltern permanent wohnen muss, obwohl sie einunddreißig Jahre alt ist, und nicht tun darf, was sie will:
„[…] also lebte sie wie alle ledigen Frauen zu Hause, und es war die Hölle. Sie hatten sich darüber fast gestritten, weil es einfach nicht in seinen Kopf wollte, dass eine erwachsene, selbständig denkende, wirtschaftlich unabhängige Frau in einer Stadt von sechzehn oder achtzehn Millionen Einwohnern nicht einfach irgendwo einen Mietvertrag unterschreiben konnte […] und sowieso nie an einem anderen Ort schlafen durfte als dort“. (Selfie : 164)
In der Orientalistik, einer überwiegend von europäischen Männern geprägten Disziplin, wurden laut Edward Said Frauen oft in Reiseberichten und Romanen als Objekte männlicher Fantasien dargestellt. Sie wurden als exotisch sinnlich wahrgenommen, als naiv oder dumm betrachtet, und vor allem als gehorsam angesehen (vgl. Said 2009: 238). Die Art und Weise, wie Frauen in Peters Roman dargestellt werden, bestätigt auf gewisse Weise Saids These und verdeutlicht, wie Frauen ebenfalls in die Stereotypisierung des Orients einbezogen werden. Demnach werden orientalische Frauen systematisch als unterdrückte Wesen repräsentiert.
Im Kapitel Grüße von Yunus zeigt der Protagonist wiederum Unmut über den Kult der Muslime und bildet sich daraus ein düsteres Gottesbild (vgl. Selfie: 35). Kulturelle Missverständnisse, Vorurteile sowie die Diskrepanz zwischen Eigen- und Fremdbildern hindern ihn daran, die islamische Kultur mit ihren Spezifitäten zu akzeptieren, obwohl das, was für manche Menschen als abnormal erscheint, für andere hingegen den eigenen kulturellen Normen entspricht. Dadurch entsteht eine Kluft zwischen jenen Welten aufgrund der Gewohnheiten der Menschen in jeder Welt (vgl. Husserl, in Wang 2012: 49).
Im Kapitel Pistolen besucht der deutsche Maler Roland als Gastdozent das National College of Arts in Lahore, Pakistan. Wie bereits angegeben, entfaltet sich eine intime Beziehung zwischen Roland und Meher, einer pakistanischen Frau. Obwohl Roland verheiratet und nur für einige Tage in Pakistan ist, baut er eine Beziehung zu Meher auf, die auf seiner reinen phantasmagorischen Projektion eigener Triebe basiert (vgl. Selfie: 50 -52). Ein ähnliches Szenario findet sich im Kapitel Strandidyll mit Fremdem, in dem der deutsche Händler Martin nach Pakistan reist, um alte Teppiche zu kaufen. Dort trifft er die junge Frau Bano und verliebt sich in sie (ebd. 173). Die beiden Beziehungen spiegeln gewissermaßen das Verhältnis zwischen dem Okzident und dem Orient wider, das nach Said in dieser Hinsicht ein hegemoniales Macht- und Herrschaftsverhältnis indiziert (vgl. Said 2009: 15). Da die Protagonisten einen starken emotionalen Einfluss auf die orientalischen Frauen haben, handelt es sich dabei um Beziehungen, die auf der Dominanz des westlichen Mannes über die orientalische Frau beruhen. Im Kapitel Pistolen wiederum erkennt die Figur Martin selbst, dass es falsch wäre, Bano auf ihr Äußeres zu reduzieren und beschreibt sich selbst wie ein „chauvinistischer Ausbeuter“ (vgl. Selfie: 173). Dies kann als Beweis dafür ausgelegt werden, dass die beiden Beziehungen „charakteristisch [sind] für das zwischen Westen und Osten bestehende Muster der Dominanz und den daraus resultierenden Orient-Diskus“6 (Said 2009: 15). Es gilt sogar als Reproduktion archaischer, patriarchaler Praktiken westlicher Tradition und Herkunft.
Im Kapitel Teppichwerkstatt repräsentiert der Roman die Interaktion zwischen Eigenem und Fremdem. Der deutsche Protagonist besitzt einen kostbaren Teppich und möchte ihn von zwei Iranern, die zu seinem Haus kommen, reparieren lassen. Während dieser Begegnung werden widersprüchliche Vorurteile des Protagonisten gegenüber Iranern deutlich. Einerseits zeigt er negative Vorurteile, als er sich unsicher fühlt, die beiden Männer allein in seiner Wohnung zu lassen und ihnen zu vertrauen, andererseits gibt er zu, dass er dasselbe Gefühl hätte, wenn er zwei deutsche Klempner auch zuhause allein zuließe. Dies zeigt, dass jene Vorurteile aus dem Blickpunkt der Hauptfigur selbst in diesem Kapitel erzählt werden:
„Ich überlegte, ob ich Massoud und Ali Hussain so lange allein in der Wohnung lassen sollte, fand meine eigenen Bedenken ungehörig. Ich beruhigte mich damit, dass ich auch nicht aus dem Haus gehen würde, wenn zwei deutsche Klempner die Toilettenspülung reparierten. Es hatte also nichts mit Vorurteilen zu tun. Aber vielleicht würden sie es als Verletzung meiner Pflichten als Gastgeber betrachten, wenn ich sie einfach hier sitzen ließ. Da die Gedanken sich jetzt endgültig verkantet hatten, stand ich kurz entschlossen auf, sagte, ‚Ich gehe Zigaretten kaufen – braucht ihr noch etwas ? ‘, und verbot mir nachzuschauen, ob irgendwo Wertsachen herumlagen.“ (Selfie : 194-195)
Der Protagonist stellt auch positiv interessierte Überlegungen an, als er darüber nachdenkt, was er für die Iraner zum Essen kochen sollte. In diesem Moment reflektiert er über die kulturellen Unterschiede in den Gastgeber-Traditionen. Der Roman zeigt, wie der Protagonist sich darum bemüht, respektvoll mit seinen Gästen umzugehen und sich angemessen zu verhalten, indem er sich in die Perspektive der iranischen Kultur hineinzuversetzen versucht (vgl. ebd. : 195). Das Kapitel Teppichwerkstatt suggeriert und betont die Ambivalenz und Komplexität von Beziehungen bzw. kulturellen Missverständnissen ebenso wie die Bedeutung des interkulturellen Dialogs zwecks gegenseitigen Verständnisses und Überwindes kultureller Barrieren. Im ersten und letzten Kapitel nimmt Peters Bezug auf eine Vielzahl politischer Themen, darunter den Irak-Krieg bzw. die US-Invasion im Irak und auch auf die erwartete Reaktion der Iraker auf den Angriff sowie die Verbreitung von Propaganda über die vermeintliche irakische Bedrohung durch die Massenmedien (vgl. ebd. : Kapitel 01 :13-25 sowie Kapitel 02 : 198-208). Durch die Darstellung von Stereotypen und Feindbildern gegenüber dem Orient wurden die Trennlinien zwischen den beiden Kulturen provokativ verfestigt, wobei der ideologisch-propagandistische Diskurs westlicher Medien zugleich an den Tag gelegt bzw. entlarvt wird :
„Er lässt sich auf den Stuhl fallen, schaltet zurück zum Ersten Programm. Ein Brennpunkt : ‚Wir müssen davon ausgehen, wenn wir den Informationen der Geheimdienste glauben, und ich nehme an, dass man da seitens der Amerikaner verlässliche Quellen vor Ort hat‘, sagt ein Generalleutnant a. D. ‚dass den Koalitionsstreitkräften rund 650000 feindliche Soldaten gegenüberstehen, die – und auch das darf man nicht vergessen – inzwischen genügend Zeit hatten, ihre Stellungen in der Wüste massiv auszubauen, die sind quasi in den Sand eingegraben.‘“ (Ebd. : 18)
Das obige Zitat schildert den Orient und den Islam als existenzielle Bedrohung für den Westen bzw. Amerika, was gewissermaßen die Kolonisierung nicht-westlicher Länder zu rechtfertigen vermag. Dementsprechend stellt Edward Said in seinem Werk Orientalismus die These auf, dass seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Vereinigten Staaten Wissenschaftler und Journalisten vermehrt den Islam als Bedrohung darstellen. Dies führe zu einer Flut von diffamierenden Medienberichten, die den Islam mit Terrorismus, Araber mit Gewalt und den Orient mit Tyrannei gleichsetzen (vgl. Said 2009: 396). Dasselbe diene höchstwahrscheinlich der Affirmation imperialistischer Ideologeme. Edward Said betont wiederum, dass die Konstruktion der Identität untrennbar von der Abgrenzung gegenüber dem Anderen ist, wodurch die Unterschiede zum Selbst betont werden (vgl. ebd.: 380). Es ist somit ein Prozess, bei dem Identitäten in Opposition zueinander stehen, indem die eigenen Identitäten polarisiert werden. In Anlehnung an Saids Überlegungen betont Bernd Adam in seinem Buch Saids Orientalismus und die Historiographie der Moderne, dass Orient als Konstrukt okzidentaler Identitätsfindung sei (siehe Said, in Adam 2013: 18). In seinem Roman beleuchtet Peters sowohl die positive Verklärung als auch klischeehafte Stereotypisierung des Orients. Dabei kritisiert er die Tendenz, den Orient als „Anderes“ im Gegensatz zum Westen zu kategorisieren.
2.2. Die Präsenz des Anderen bzw. des Fremden innerhalb eines internen Gemeinschaftsgefüges
Die Alterität kann innerhalb jeder Gesellschaft konstruiert werden, indem Personen, Klassen und Gruppen mittels variierender Stereotype und kultureller Abweichungen von der eigenen Ordnung allerdings stigmatisiert sowie ausgegrenzt werden können (vgl. Volker 2008: 7). Aufbauend darauf lässt sich sagen, dass das Fremde und Andere nicht zwangsläufig außerhalb der territorialen Grenzen existieren, sondern auch innerhalb derselben koexistieren können. In Peters ʼ Darstellung islamischer Gemeinschaften in seinem Roman Selfie mit Sheikh wird die Vielfältigkeit dieser Kategorie betont und verdeutlicht, so dass die Alterität nicht nur jenseits von nationalen, religiösen und kulturellen Grenzen zustande kommt, sondern auch innerhalb dieser auftreten kann. Ein Beispiel hierfür befindet sich im Kapitel Beim Barte des Propheten (Selfie: 76-92), in dem zwei Gruppen bzw. zwei Tendenzen innerhalb der islamischen Gemeinschaft, nämlich die der Wahhabiten und Sufis, geschildert werden. Im Roman wird zudem aufgezeigt, wie jede Gruppe die andere als das „Andere“ wahrnimmt. Diese Wahrnehmung wird ebenfalls von Vorurteilen und Stereotypen geprägt.
Die Konstruktion von Alterität bezieht sich unweigerlich auf die Begriffe des Eigenen und des Anderen, da die Vorstellung des Eigenen untrennbar von der Vorstellung des Anderen ist (vgl. Beghoul 2021). In Peters Roman wird dies dadurch ausgedrückt, wobei die Wahhabiten und die Taliban, trotz ihres extremistischen Charakters, als das Vertraute bzw. das Eigene dargestellt werden, während die marginalisierten Sufis als das Fremde bzw. das Andere stigmatisiert werden. Die Ursache des Vorzuges der Eigenen, die als eine Art Selbstbezug zu verstehen ist, ist ein Spannungsverhältnis zwischen Eigenheit und Fremdheit in derselben Heimwelt auffällig. Daraus entsteht eine Asymmetrie zwischen dem Ich und dem Anderen, zwischen der eigenen Kultur und der fremden Kultur (vgl. Waldenfels 2016: 74). Petersʼ Roman bringt jene akzentuierte Marginalisierung der Sufis, die auf Stereotypisierungen des Anderen basiert, hervor. Zugleich werden die Sufis als Häretiker und Nicht-Muslime deutlich etikettiert. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass die Festlegung von kulturellen und ideologischen Grenzen eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Stereotypen zu spielen scheint (vgl. Al-Taie 2016: 150). Somit ist der Abbau etablierter Stereotype nur durch das Überschreiten dieser Grenzen möglich. In Bezug darauf wird deutlich, wie Peters Stereotype, ähnlich wie es Angela Kindervater in ihrem Werk beschreibt provokativ repräsentiert, Stereotype werden als starre, grob verallgemeinernde Annahmen gegenüber Personen oder Gruppen angesehen, die mit einem sozialen Klassifikationsmerkmal verbunden werden können. Solche Stereotype können feindselige Einstellungen und Diskriminierung gegenüber anderen Menschen legitimieren (vgl. Kindervater 2007: 47). Dies lässt sich beispielsweise im Kapitel Beim Barte des Propheten betrachten, in dem Peters die starke Identifikation der Wahhabiten mit ihren religiösen Glaubenseinstellungen, nämlich Wahhabismus7, schildert, die letztendlich zur Marginalisierung und Abgrenzung von anderen, undifferenzierten Gruppen, insbesondere den Sufis, führt. Peters versinnbildlicht durch die Wolfgang-Figur im Kapitel Beim Barte des Propheten, wie die Wahhabiten den Sufismus und die Sufis nicht nur durch negativ konnotierte Bezeichnungen wie „verbotene Sekte“ (Selfie: 88), „türkische Häretiker“ (ebd.: 91) oder auch „ungläubige[r] Gotteslästerer“ (ebd.: 89) belegen, sondern auch Reiseverbote gegen diese sogar verhängen. So wird der Sufismus beispielsweise in Saudi-Arabien verboten (vgl. ebd.: 85) und ein Sufi-Scheich wird sogar daran gehindert, nach Mekka zu reisen (vgl. ebd.: 85-86). Ein weiteres Beispiel befindet sich im Kapitel Das Schwere und das Leichte, in dem von Fazal, einem paschtunischen Sufi, berichtet wird, der zusammen mit seinen Freunden beim Bau einer Moschee auf viele Schwierigkeiten stößt und sogar ins Gefängnis gebracht wurde, nur weil er Sufi ist (vgl. ebd.: 15).
Das Kapitel Rote Zone erzählt weiterhin von einem deutschen Gast in Pakistan, der den Sufismus erforscht und einen Sufi-Scheich treffen möchte. Es beleuchtet auch die erschreckende Realität der Misshandlung von Sufis, die sogar bis hin zu Tötungen führen kann (vgl. ebd.: 123). Kindervater zufolge beruhen Stereotype auf einem Mangel an empirischer Evidenz. Der Umgang mit klassifizierten Gruppen ist durch eine Abwehrhaltung gegenüber Gegenbeweisen gekennzeichnet, und Ausnahmen werden als Bestätigung der Regel angesehen (vgl. Kindervater 2007: 49). Die obsessive Fixierung der Wahhabiten auf die Länge der Hose (vgl. Selfie: 76) und die Form des Bartes (vgl. ebd.: 81), die sie als Verkörperung der sunnitischen Traditionen betrachten, versinnbildlicht Intoleranz gegenüber dem Islamverständnis anderer islamischer Gruppen. Dies führt letztendlich zur Stigmatisierung anderer Gruppen muslimischen Glaubens. Diese Art von Differenzierung endet zudem oft in einer generalisierten Ablehnung des Anderen (vgl. Kindervater 2007: 49).
Wie bereits erwähnt, spielt der Gestus der Grenzziehung im Text eine bedeutende Rolle bei der Aufdeckung bzw. Überwindung von Stereotypen. Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass jene Grenzziehung durch Stereotype zu einer scheinbaren Handhabung des Anderen führt und dadurch stabilisiert wird. Durch den Versuch, den Anderen anhand von Stereotypen zu beschreiben, wird das eigene Selbstbild in Abgrenzung zu diesen Heterostereotypen gleichfalls gestärkt (vgl. Al-Taie 2016: 150). Ein anschauliches Beispiel dafür lässt sich in der Art und Weise, wie der wahhabitische Scheich mit der Figur Wolfgang spricht, feststellen. Dabei zeigt er starkes Selbstbewusstsein und sogar „Überlegenheit“, da er sich im Gegensatz zu anderen abweichenden islamischen Konfessionen, Sufis in diesem Fall, für einen „wahren“ Muslim hält (siehe Selfie: 85-89).
2.3. Das Andere als Randseiter
Bei dem Versuch, den Begriff des „Anderen“ in Peters Roman zu charakterisieren, stoßen wir auf eine Komplexität, die verschiedene Bedeutungsnuancen erkennen lässt. Ein Beispiel dafür ist wiederum die dargestellte, kulturell hybride8 Wolfgang-Figur im Kapitel Beim Barte des Propheten, indem mit der deutlich wird, wie komplex die Konturierung des Anderen in Peters Roman ist. Diese Kategorie der Person überschreitet demnach binäre Einordnungen um einen dritten Raum im Sinne von Bhabha (Bhabha, in Günzel 2010: 185-186) zu verkörpern. Wolfgang ist ein Deutscher, der zum Islam neulich konvertiert und die Pilgerreise nach Mekka antritt. Dort befindet er sich in einer relativ homogeneren Gruppe, die aus Wahhabiten und Salafisten besteht. Schon die soziale Zugehörigkeit Wolfgangs scheint hybrid, da er deutscher Herkunft, aber zugleich Muslim ist. An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass er auch als „Wanderer auf der Grenze zweier Kulturen“ bzw. als ein kulturell hybrider Grenzgänger repräsentiert wird (vgl. Funk 2016: 36). Mit anderen Worten, er befindet sich an den Rändern zweier unterschiedlicher Kulturen, der islamisch-orientalen und der europäisch-westlichen Kultur; er liegt im Spannungsfeld zwischen ihnen.
Bei Konversion zum Islam ist eine Namensänderung empfohlen oder manchmal erforderlich (Siehe Wohlrab-Sahr 1999: 252). Im Kapitel Beim Barte des Propheten ändert der Protagonist seinen Namen erst, nachdem er auf Wahhabiten trifft. Plötzlich lässt er sich selbst „Abdel Haqq“ nennen, ohne zu wissen, wie es dazu kam (vgl. Selfie: 78). Es kann in diesem Zusammenhang von einer Krise kultureller Identität die Rede sein, da er weder seine Vergangenheit und alten Gewohnheiten ablegen, noch seine neue Lebensweise als Muslim annehmen kann. Wolfgang selbst gibt zu, dass er weder seinen Namen verändern will, wie es die neuen Konvertiten üblicherweise tun, noch eine andere Form des Bartes – wie Wahhabiten – haben will (vgl. Ebd.: 79). Dies zeigt, dass Abdel Haqq, der eigentlich Wolfgang heißt, durch räumliche, kulturelle und soziale Veränderungen sowie eine religiöse Transformation geprägt wurde. Er verkörpert das Konzept des „marginal man“ im Sinne von E. Park (Reuter 2002 : 96). Als Grenzgänger bewegt er sich an den Rändern von mindestens zwei Kulturen, ohne jedoch vollständig in eine von ihnen völlig aufzugehen (vgl. Ebd.). Ein weiteres Beispiel für die Prägung der Figur im Sinne von E. Park ist Wolfgangs Sorge, dass niemand in Deutschland seinen arabischen Namen erkennen würde. Dies spiegelt seine Verunsicherung in Bezug auf die erste kulturelle Identität wider (vgl. Selfie: 79). Wolfgangs weigernde Haltung resultiert nicht nur aus dem Rigorismus der Wahhabiten auf bestimmte islamische Vorschriften, sondern auch aus seinem Persönlichkeitszwiespalt, der sowohl von räumlichen Einflüssen als auch biographischer Zwiespältigkeit hervorgeht. (vgl. Reuter 2002: 96).
Da die Wolfgang-Figur den marginal man verkörpert, soll an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass dieser Archetyp als Fremdes von kulturell homogener und geordneter Gruppe angesehen wird. Wobei Letztere die als vertraute Ordnung zugrundegelegt (vgl. ebd.). Einerseits verweist die kulturelle Konstruktion Wolfgangs auf eine Form kultureller und räumlicher Grenzüberschreitung, andererseits auf die innere Abspaltung, die sich durch sein Verhalten gegenüber Wahhabiten manifestieren lässt. In dieser Hinsicht prägt der Protagonist nicht nur die Fremdheit des Anderen, sondern auch die Fremdheit seiner selbst. Laut Waldenfels liegt das Fremde nicht außerhalb von uns, sondern es beginnt in uns selbst (vgl. Waldenfels 2006: 118-119). Wolfgangs konsequente Beibehaltung seines eigenen Namens sowie seine Vorbehalte gegenüber religiösen Vorschriften spiegeln seine innere Fremdheit wider. Es scheint, als ob in seiner eigenen Person zwei unterschiedliche Menschen koexistierten. Genauer gesagt, gilt Wolfgangs Reaktion auf islamische Urteile als Indiz für intrasubjektive Fremdheit im Waldenfels‘schen Sinne, indem dieser betont, dass es nicht nur ein „anderes Selbst“, sondern auch eine „Fremdheit der selbst“, die die eigentliche Fremdheit erst zum Spiegelbild macht, gibt (vgl. Waldenfels 2016: 27-28).
Im Kapitel Das Leichte und das Schwere wird die Figur Yussuf ebenfalls als Randseiter repräsentiert. Yussuf ist ein deutscher Muslim und folgt dem Sufismus, genauer gesagt, der Naqshbandiyya Tariqat.9 Beim Besuch eines Schreines in Pakistan trifft er auf einen weiteren Naqshbandi-Muslim namens Fazal. Als Yussuf bei der Begegnung seinen Namen erwähnt, wird er ziemlich verunsichert, wenn er sagt: „‚Ich zögere, bevor ich ‚Yussuf‘ sage. Mein Name ist und bleibt ein Problem.‘“ (Selfie: 144). Die Begegnung von Yussuf mit dem Scheich Abdel Karim im selben Kapitel stellt ein Schlüsselmoment der Grenzüberschreitung und der „Konfrontation“ mit dem Anderen dar. Yussuf verkörpert die Akzeptanz fremder Menschen und ihrer Kultur, ohne dabei seine eigenen europäischen Maßstäbe aufzugeben. Diese Begegnung löst bei Yussuf anfangs Staunen und Zweifel aus, dann empfindet er Fremdartigkeit (vgl. Selfie: 152), aber auch Faszination. Yussuf ist erstaunt, als er den jungen Scheich, der ungefähr im gleichen Alter wie seine Gefolgsleute ist, sieht. Dennoch erkennt er an, dass der Scheich etwas weiß, das man nicht lernen kann (vgl. ebd.: 156 -157). Der Scheich verkörpert das Fremde, das sich nach Waldenfels nur indirekt erfassen lässt und als Abweichung vom „Normalen“ und als Überschuss wahrgenommen wird. Dieser übersteigt übliche Erwartungen und Anforderungen (vgl. Waldenfels 2008a: 364).
Auf ähnliche Weise wird eine analoge Begegnung zwischen der Hauptfigur und dem Derwisch im Kapitel Der kleine Derwisch dargestellt; ein muslimischer Reisender aus Deutschland, der nach der Türkei reist, und dort in einer Moschee einen Derwisch trifft (Selfie: 93-105). Bildhaft beschreibt Peters diese Begegnung, die zunächst Zweifel, Staunen Fremdartigkeit, dann Schrecken und schließlich wieder Faszination auslöst. Die Protagonisten Wolfgang, Yussuf und der deutsche Reisende verkörpern facettenreiche Ausprägungen der Fremdheit. Innerlich erleben sie Entfremdung in ihnen vertrauten Welten. In der Außenwelt erfahren sie Fremdheit außerhalb ihrer Heimwelten durch sprachliche und herkunftsbasierte Unterschiede. Die in Peters Selfie mit Sheikh dargestellte Grenzüberschreitung führt nicht nur zur Fremdheitserfahrung, sondern ermöglicht auch das Verstehen des Eigenen durch den Kontakt mit dem Fremden.
3. Die Normalisierungsrhetorik des Anderen bzw. Fremden
Im Umgang mit dem Fremden existiert eine besondere Herangehensweise, die laut Waldenfels als Normalisierungsprozess angesehen wird. Es geht darum, das Unbekannte bzw. Unvertraute in ein vertrautes Gefüge zu überführen (vgl. Waldenfels 2008b: 9). Durch diesen Prozess wird eine Brücke zwischen Fremdem und Eigenem geschlagen. Da das Fremde durch einen Prozess der Ein- und Ausgrenzung entsteht (vgl. ebd.: 131), kann Ersteres durch Grenzüberschreitung überwunden werden. In Peters Roman werden vielfältige Beispiele angegeben, in denen das Andere bzw. das Fremde durch kulturelle und räumliche Grenzüberschreitung „normalisiert“ wird. Die Beziehung zwischen dem Orient und dem Okzident war über Jahrhunderte von beiderseitigen Stereotypen geprägt, die den Verständigungsprozess zwischen beiden Welten bis heute noch erschwert. Die gegenseitige räumliche Grenzüberschreitung ermöglicht jedoch kulturelle Barrieren und Stereotype abzubauen, da durch die direkte Begegnung mit dem Anderen eigene Perspektive, Werte und Traditionen ebenso wie eigene Vielfalt und Individualität anerkannt werden können. Dies ist beispielweise im Kapitel Schwarzmilane erkennbar, indem Peters schildert, wie Menschen beispielweise in Karachi ihre Dankbarkeit durch Vogelfutter zeigen. Der deutsche Reisende, der die Rolle des Fremden hier übernimmt, ist zunächst davon verwundert, dann begeistert und am Ende will er es selbst probieren (vgl. Selfie: 182-183).
Mittels der im Text thematisierten kulturellen Grenzüberschreitung wird der Austausch von Ideen, Erfahrungen und Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Kulturen und Menschen suggeriert. Daraus entsteht gewissermaßen ein interkultureller Dialog, der zu einem gegenseitigen und tiefen Verständnis sowie Respekt führt. Dies ist beispielweise in Kapiteln wie Beim Barte des Propheten, Der kleine Derwisch und Das Leichte und das Schwere erkennbar, in denen sich die Hauptfiguren nicht nur um ein Verständnis, sondern auch um die Akzeptanz der islamischen und orientalischen Kultur bemühen. Durch jene Grenzüberschreitung wird das Spannungsverhältnis zwischen Eigenem und Fremdem überwunden, denn das Andere ist ein Konstrukt, das nur im Verhältnis zum Eigenen existiere (siehe Schlicher 2011 : 31). Davon ausgehend erfordert die eigene Identitätsbildung das Vorhandensein eines Gegenübers, um sich selbst zu finden, was weiterhin zum Erkennen und der Akzeptanz des Anderen führen sollte.
Schlussfolgerung
In Bezug auf Schäffters Überlegungen, die besagen, dass mit der zunehmenden Durchlässigkeit der Grenzen Fremdheit nicht mehr ausschließlich räumlich außerhalb unseres Lebens verortet ist, sondern sogar auf persönlichere und überraschende Weise in unseren Alltag eindringt (vgl. Schäffter 1991 : 7), lässt sich vermerken, dass Peters‘ Selfie mit Sheikh eine kulturkritische Darstellung von Alterität und Grenzüberschreitung bietet. Peters schildert ein in seinem Werk dominantes Thema, nämlich die Alterität. Damit erzielt er die Komplexität und Vielfalt dieses Phänomens provokativ darzustellen. Die Rolle der Grenzüberschreitung im Diskurs des Autors ist von großer Bedeutung. Sie ermöglicht den Protagonisten ebenso wie Lesern, Fremdheitserfahrungen zu erleben, sich mit dem Anderen auseinandersetzen und eigene Identitätskonstitution mit zu reflektieren. Der Stellenwert der kulturellen und räumlichen Grenzüberschreitung zur Normalisierung des Fremden bzw. des Anderen ist ein wesentlicher Aspekt im Roman. Durch den Austausch und die Begegnung mit dem Fremden als Gestus werden kulturelle und religiöse Stereotype und Vorurteile aufgebrochen, Vorstellungen von Normalität hinterfragt. Die Normalisierung des Fremden bedeutet hier nicht die Anpassung an eine vorgegebene Form, sondern vielmehr die Anerkennung und Wertschätzung kultureller, konfessioneller und sogar ethnischer Vielfalt und Differenz. Schließlich kann an dieser Stelle betont werden, dass Peters Roman an Überwindung von Vorurteilen appelliert und einen Dialog zwischen den Kulturen in den Mittelpunkt seiner kulturkritischen Reflexionen rückt.