Zwischenräume: der Weg des instrumentalisierten Körpers zum verlorenen sich Selbst in Angela Krauß´ Die Überfliegerin

الفجوات: طريق الجسد المستغل إلى الذات الضائعة في رواية أنجلا كراوس Die Überfliegerin

Lieux tiers: le cheminement du corps instrumentalisé vers le soi perdu dans Die Überfliegerin d’Angela Krauß

Interspaces: the path of the instrumentalized body to the lost self in Angela Krauß´s Die Überfliegerin

Maroua Bouleklouk

p. 113-127

Citer cet article

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Maroua Bouleklouk, « Zwischenräume: der Weg des instrumentalisierten Körpers zum verlorenen sich Selbst in Angela Krauß´ Die Überfliegerin  », Aleph, Vol 11 (2) | 2024, 113-127.

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Maroua Bouleklouk, « Zwischenräume: der Weg des instrumentalisierten Körpers zum verlorenen sich Selbst in Angela Krauß´ Die Überfliegerin  », Aleph [En ligne], Vol 11 (2) | 2024, mis en ligne le 02 janvier 2024, consulté le 21 novembre 2024. URL : https://aleph.edinum.org/10302

Es geht in „ Die Überfliegerin“ um Zwischenräume und Grenzüberschreitungen, die hier in ihrer Vielfalt vorkommen. Die Schriftstellerin Angela Krauß bearbeitet die Wendezeit und die plötzlichen Ereignisse nach der Wiedervereinigung Deutschlands. Der Verlust an Vertrautheit initiiert die Überfliegerin Erkundungen und ein Verlangen nach einem Überschreiten von geographischen Grenzen, die in ihrem Leben, in ihrem Land (DDR) bisher unüberschreitbar und unmöglich waren und damit auch eine Überschreitung von literarischen Normen und Grenzen implizieren. Die Präsentation und ihre verschlüsselte Form und Ambiguität sind ein dominanter Zug ihrer Schreibweise. In diesem Fall würden wir von einer Dominanz der Räume und Grenzüberschreitungen sprechen. Auch Räume werden als eine lebendige Figur beschrieben. Alles ist Geschichte und Gedächtnis. Räume werden wie eine Figurenkonstellation aufgeführt. Es ist eine Vielfalt von Bildern, von Perspektiven und Stimmen von menschlicher Ausdrücklichkeit oder als Gewebe von Allegorien, die an manchen Stellen unbestimmt oder unklar verschlüsselt sind. Hier werden die charakteristischen Funktionen der Grenzüberschreitungen und der Zwischenräume in literarischen Darstellungen von Fluchtbewegungen bzw. dem Reisen zu einer Geopoetik gefördert.

يدور هذا النص المكثف للغاية حول المساحات البينية والمعابر الحدودية التي حدثت هنا بتنوعها. تتناول الكاتبة أنجيلا كراوس الفترة الانتقالية والأحداث المفاجئة بعد إعادة توحيد الألمانيتين. يؤدي فقدان الألفة إلى بدء بطلة الرواية „ Die Überfliegerin“ „ المحلقة“ التفكير والرغبة في عبور الحدود الجغرافية التي كانت في السابق غير قابلة للعبور أو التجاوز ومستحيلة في حياتها أو في بلدها (جمهورية ألمانيا الديمقراطية)، وبالتالي تتخطي معها الأنظمة والحدود الأدبية. هناك شكل مشفر وغموض هنا. يتحدث المرء عن هيمنة المساحات والمعابر الحدودية. توصف الغرف أيضًا بأنها شخصية حية. كل الأماكن عبارة عن شخصية حية لها قصص وذكريات. يُنظر إلى الغرف على أنها كوكبة من الشخصيات. تدور الأحداث حول مجموعة متنوعة من الصور والجوانب والظواهر الإنسانية على شكل شبكة، والتي تكون في بعض الأماكن غير محددة أو مشفرة بشكل غير واضح ومتعمد من الكاتبة. هنا، تتم مناقشة الوظائف المميزة للمعابر الحدودية والمساحات بينهما في التمثيل الأدبي لحركات اللاجئين ورحلاتهم فيما يتعلق بالجيوشعرية أو الجيوبويتك

Les lieux tiers et les formes de dépassement, les espaces transitoires comme formes existentielles après la réunification des deux Allemagnes et les lieux tiers sont des aspects fondamentaux dans l’article. L’espace joue avec le corps un rôle principal dans la poétique d’Angela Krauß. La voix anonyme de „ Die Überfliegerin“ se trouve subitement protégée dans un chaos et une désorientation dans l’espace de vie et l’environnement mutuel. La perception du monde de la protagoniste se situe entre un désir, un manque, une perte, une intuition et un silence, entre sommeil et éveil, curiosité et distance, ce jeu dialectique, exception d’une déroute, désorientation après la réunification. Le thème de l’amour n’est pas explicitement dans son sens sexuel mais comme désir, ouverture attente, besoins ; il devient l’expression du premier espace transitoire d’une relation d’un corps au monde, à un environnement devenu subitement étrange. Les souvenirs se développent en une trame dominante, ils sont liés à des lieux, des espaces dédoublant la nouvelle quotidienne et la quête de l’autre. Le corps lieu central de toutes les perceptions devient le lien entre des espaces et temps passés et présents. Il est comme séismographe dans ce nouvel environnement.

Third places and forms of overcoming, transitional spaces as existential forms after the reunification of the two Germanys and third places are basic aspects in the article. Along with the body, space plays a main role in the poetics of Angela Krauß. The anonymous voice of the „ Überfliegerin“ suddenly finds itself protected in chaos and disorientation in the living space and mutual environment. The protagonist’s perception of the world is between a desire, a lack, a loss, an intuition and a silence, between sleep and awakening, curiosity and distance, this dialectical game, the exception of a rout, disorientation after reunification. The theme of love is not explicitly in its sexual sense but as desire, openness, expectation, needs ; it becomes the expression of the first transitional space of a relationship of a body to the world, to an environment that has suddenly become strange. Memories develop into a dominant frame, they are linked to places, spaces doubling the daily news and the quest for the other. The body, the central place of all perceptions, becomes the link between past and present spaces and times. It is like a seismograph in this new environment.

„Für mich ist die Welt kein Bild und Widerbild. Jeder Zeit erinnere ich mich, daß man sie anfassen kann. Sie besteht aus Körpern und geladenen Zwischenräumen. Die Grundlagen sind mir bekannt durch die Berührung. (Krauß 1995: 40 )1

Einleitung

Angela Krauß´ Erzählung „ Die Überfliegerin“ wurde zum ersten Mal 1995 in Suhrkamp Verlag erschienen. Sie visualisiert das Leben bzw. das Verwirrtsein und die Orientierungslosigkeit einer DDR-Frau nach der Wende und Befreiung d.h. nachdem die Grenzen normalerweise weg waren. Die Protagonistin befindet sich nach dem Erwachen in einer ihr plötzlich fremd gewordenen Umwelt zunächst einmal als Beobachterin, dann kamen ihr das Bedürfnis und Verlangen an Grenzüberschreitungen. Als Lebewesen leben wir seit Anfang unseres Lebens an in einem bewegten und sich bewegenden Raum, in einem geschlossenen unbegrenzten megagroßen Kosmos. Meistens verlieren sich die Menschen in der Ordnung der Dinge, weil sie (typische) bewusste und sogar unbewusste Veränderungen erleben, die ihren Erwartungen und Sehnsüchten nicht entsprechen und erfüllen. Der Raum als topographische identitätsstiftende, weil kulturelle und auch zeitliche Gestalt beeinflusst und bestimmt das Vergangene und das Nächste und Zukünftige einer erlebten Gegenwart, ins Besondere im Fall chaotischer Gegenwart, wo der Mensch seine Repers in einer Zwischenzeit, -weil sich noch verwandelnde, bewegende, sich in einem Dazwischen als Zwischenzeit oder Zwischenraum befinde-verliert oder auch plötzlich dem Wechsel bewusst wird. Der Mensch ist immer von Ereignissen und von der Plötzlichkeit sozialhistorischer Bedingungen und Raumverwandlungen abhängig. Sobald sich nur ein kleines topographisches Detail verändert, verwandelt sich die ganze Lage eines Daseins und werden damit Erinnerungen und das Denken aktiviert. Hier ist der Raum wie ein Signal, semiotisch auf ein Dasein auch auf Bedingungen und Ereignisse hinweisend, die dem Subjekt die Richtung gibt. Der Raum erzählt und vermittelt Spuren der Zeit und Ereignissen und wird zum „ Trace“. Er steht im Mittelpunkt literarischer Untersuchungen der Moderne und Postmoderne bzw. der Wendeliteratur. Von dem Raum zu reden heißt aber auch über verschiedene andere Begriffe und Gegenbegriffe reden und nachdenken, die einander sowohl dialektisch umkehren als auch erweitern und erklären u. a. über Zwischenräume, Peripherien, Gegenorte, Niemandsorte, Nicht-Orte…usw. Diese Konzepte, die Topographien klassifizieren, legen mit ihren gegensätzlichen Strukturen verborgene, jedoch implizite Kehrseiten offen und umfassen reale wie erfundene Orte – wie aus einer interkulturellen Begegnung abstrakt aus einem Zwischenraum oder Drittenraum ablesbar.

Die Neuordnung und die Re-Konstellationen des deutschen und europäischen Raums, auch des Aufbaus der Welt ins Besondere der europäischen Geographie seit den 90er. Jahren, bildet die alltägliche und literarische Grundlage für die sich schnell durchsetzende neue Geopoetik. Diese letzte spielt eine wesentliche Rolle und eine interessante Konjunktur, vor allem den mittel- und osteuropäischen Literaturen. (Vgl. Marszalek & Sasse 2010: 7). Allgemein war die Zeit als historischer Hintergrund und Produktivität die Hauptreferenz und Hintergrund aller Mitteilungen und Meldungen. Demnach hatte sich der Hinweis in den modernen Überlegungen und Richtungen auf den Raum auch als wichtiger Ursprung, Referent und Zentrum für alle Auseinandersetzungen erweitert. Der Zeitpunkt und der Ort in ihren plötzlichen Mutationen sind von großer Bedeutung und mit ihren Auswirkungen auf das Subjekt bzw. den Sprecher eng verbunden und in Betracht zu ziehen. Sie bestehen mit-und nebeneinander und nehmen in dem Produktions- und Schaffensprozess einen wichtigen rückwirkenden Anteil.

Hiermit wird in diesem Beitrag auf verschiedene Akteure und Räume mit deren Benennungen als Hauptbeteiligten in einer Wende-Literatur hingewiesen, spezifisch in dem Werk von Angela Krauß „ Die Überfliegerin“. Der Zusammenhang von Körper zusammen mit dem leeren Raum bildet die poetischen Grundlagen Angela Krauß´ Poetik, wie sie dies in ihren Poetik-Vorlesungen direkt deklarierte: „ Meine poetischen Baugründe sind die Körper und der leere Raum“ (Krauß 2004: 65). Das aus den geschichtlichen Ereignissen der Wendezeit entstehende Vakuum hatte eine entscheidende Ausprägung auf ihr Schreiben und ihre Poetik.

1. Der Raum und der Körper als poetische Grundlagen von Angela Krauß

Die Poetik von Angela Krauß ist eine Raumpoetik par Excellence. Sie geht beim Erzählen von dem Raum und den geschichtlichen Voraussetzungen aus, und gibt ihm (dem Raum) eine wesentliche bemerkenswerte Rolle, sogar Hauptrolle nicht nur als ein geographischer oder topographischer Ort, sondern als Lebensraum einer erzählenden, sich erinnernden Hauptfigur, deren Konstellationen, die Bühne, den literarischen Diskurs von Angela Krauß und das Gewebe konstruieren. Die Landschaft entspricht bei ihr den Existenzbedingung und einer existentiellen Problematik und ist ein Nest, aus dem die Autorin ihre Konstruktion schöpft. Es ist ein Hauptelement aller Bewegungen, aus dem der Mensch ausgestoßen ist, wie sie es schon in ihren Poetik-Vorlesungen raffiniert formuliert: „ […] Die Landschaft als die Gestalt der Welt ist glücklichenfalls das große Nest, in das wir aus dem kleinen Überwechseln, schlimmstenfalls die Fremde, die Wildnis, in die wir ausgestoßen werden, in dem wir der Behütung entwachsen.“ (Ebd.: 13). Landschaften sind hier als Orte für innere Entsprechung und erzählen von einer Wildnis und einer Verwirrung.

Ihre stark-motivierte Erzählweise beruht auf einer starken Polyvalenz und Metaphorizität. Die Beschreibung von Innen- und Außenräumen als wichtige rhetorische Orte für metaphorische Entsprechungen und als eine Voraussetzung für ihr perspektiveres verräumlichtes Erzählen. Die Beschreibung des Raums in dem Textanfang gibt dem Leser schon einen Überblick über den gesamten Text und zeichnet den Leitfaden für Gesagtes und Nicht-Gesagtes ab. Sie sagt und umschreibt die Wende, die Umgestaltung und die Verwandlungen von 1989/1990 bzw. das Ende der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands mit einer anonymen Stimme, die ihr Erzählen nach Einheiten ordnet. Es geht auch um eine historische Periode bzw. Veränderungen und einen Übergang von bestimmten historischen Situationen in die andere neue Periode, deren Gesetze und Grenzen anders und noch vage sind. Der Erzählanfang wird topographisch mit der Mauer und dem Bahnhof bzw. mit einem Stadtbild eingeleitet. Es sind drei zentrale Räumlichkeiten, die einleitend dominant im Diskurs vorliegen und die im Laufe des Erzählens wieder in ihrer Rekurrenz sich bestätigen. Die Protagonistin war in diesen Räumen erst eine Beobachterin. Sie ist eigentlich in dieser Umwelt erwachsen geworden und hat dort gelebt. Aber jetzt werden diese Orte zum Vermittler und Echo innerer Eindrücke und Leere der Verlorenheit und Entfremdung. Dieser Allegorisierung der Landschaft und des Stadtbilds rufen das Bewusstsein von einem inneren Protest und einem „mürrischen Gemurmel“ hervor.

„[…] Alle diese Orte hatten etwas Gemeinsames mit ihren Bahnhöfen, einen nachhallenden verlorenen Klang, der ihrem nach innen gewandten Wesen entsprang, etwas absichtslos Abwesendes, ein mürrisches Gemurmel, das über den Gleisen zerwehte.“ (Üb. S. 22).

Der Raum kann hier als eine sprechende lebendige Figur in diesem Diskurs und dieser Textgewebe betrachtet werden. Es ist bereits im Textanfang die Rede von der Beziehung des Subjekts, bzw. des Körpers zum Raum als programmatische Funktion und semiotische Wende. Dieses Körper-Raum-Verhältnis ist eine sehr wichtige Dimension wenn nicht die wichtigste, die die Lebensbedingungen und innere Beziehungen und Reaktionen vom Subjekt von Menschen darauf vermittelt. Michael Opitz erinnert und betont die Abhängigkeit und Bedeutung des Körpers im Raum (Vgl. Gees 2014: 93). Es handelt sich um eine variierte Körperlichkeit, denn fast alle Dinge und Räume werden zu Körpern und haben ein Gedächtnis. Der Körper steht im Zentrum. Die Stadt der Protagonistin ist hier auch allegorisiert. Der Raum ist eine lebendige Figur in dieser Konstellation des Textes.

Es gibt Orte, die niemandem gehören und, die auf keinen Fall auf geographische Grenzen hinweisen oder rückwirken. Diese unbegrenzten Räume sind auch als Gegenräume, Nicht-Orte, Niemandsräume, als Heterotopien und Negationsräume nach Foucault zu bezeichnen. „ In aller Regel bringen Heterotopien an ein und demselben Ort mehrere Räume zusammen, die eigentlich unvereinbar sind.“ (Foucault 2013: 14). Der Bahnhof als Ort und Raum repräsentiert in „ Die Überfliegerin einen Durchgangsort. Er wurde immer von der Ich-Erzählerin von oben beobachtet, was auf ein Blick auf von Oben nach Unten hindeutet. Der Bahnhof repräsentiert die Schnelligkeit und Geschwindigkeit der Bewegungen – von Menschen und Zügen. Er kann als ein Ort überall, aber auch als Grenzort und Nicht-Ort funktionieren, der Normen und Regeln hat, aber auch dessen Züge immer und ständig in der Grenzüberschreitung sind. Er verkörpert beide. Weiter ist die Stadt der Raum, wo die Ich-Erzählerin und andere gelebt haben und noch leben, und wo es auch andere Räume wie Wohnungen, Straßen, Tunnels, Hoflabyrinthe, Gebäude, Fabriken gibt…usw. Alles in dieser Stadt bewegt sich in einer geschlossenen Zirkularität auch der Soldat vor dem Gebäude. Diese Bilder suggerieren und symbolisieren geschlossene Räume trotz ihrer Beweglichkeit und auch das Gefühl von einem eingeschlossen-Sein.

In den Schlüsselszenen dieser Erzählung repräsentiert die Schriftstellerin die Besonderheit und Wichtigkeit des Raums im Leben von Menschen, hier von einer Frau aus der DDR. In der Erklärung von Angela Krauß handelt es sich um einen Zwischenraum bzw. ein Zwischen-Dasein, das im Fliegen, Schweben einen dritten Ort findet oder erfindet. Diese Räume wirken gesellschaftlich, historisch oder geschichtlich. Gesellschaftlich, denn jeder Raum hat seine Gesellschaft und historische Begebenheiten. In ihm bewegen und verhalten sich Menschen soziale Gruppen dieser Gesellschaft. Das Erinnern hängt auch von Räumen ab. An dieser Stelle kann von einem Gedächtnisraum und Memorisierungsakt der Figur in „ Die Überfliegerin“ gesprochen werden. Der Raum übernimmt nach ihm eine mnemotechnische Funktion. „ Seit Anfang des Jahrhunderts fanden sich hier Menschen ein, die mit unbeirrbaren Gesichtern ihre Positionen einnahmen.“ (Üb. S. 23).

2. Das im Zwischenraum verlorene Subjekt

Ausgehend von einem variierten und sich selbst konfrontierten Ich erarbeitet die Autorin Angela Krauß ihre Poetik und Schreibweise. Sie hat in den meisten Texten namenlose Protagonistinnen ausgewählt, die trotzdem schon einleitend Multifunktionen übernehmen und die die Poetik Angela Krauß´ auszeichnen. Es geht eigentlich um ein lyrisches Ich in einer Prosa, das als Erzähler, Beobachter, Hauptfigur, Gedächtnisfigur und kritisch wahrnehmende Figur in der Textkonstellation eingerichtet ist. Es übernimmt Multifunktionen, in denen auch eine klar erscheinende Autor- und Leserfigur erkennbar sind. Das Subjekt in diesem Text macht eine Entwicklung und Verwandlung durch ; es geht von einem Gefühl des Schwebens, der Entfremdung, Orientierungslosigkeit und des Verwirrt-Seins in einer ihm allmählich als verschlossen und gleichgültig bewusst gewordenen Welt. Jedoch führt diese neue Beziehung zur Welt das Subjekt zu sich selbst und macht ihm seine Versäumnisse bewusst. Die Wende ist auch der Weg zu sich selbst.

Es geht um eine namenlose Ich-Erzählerin als Beobachterin: „ So fiel es mir nicht schwer, auf die Tatmenschen mit leichter Herablassung zu sehen, zu denen ich nie gehörte. Aber ist es vorbei !“ (Üb. S. 38). Die Tatmenschen, die an Tatsachen gebunden sind und danach ihr Laben bzw. ihre Umgebung gestalten, stehen demjenigen einen Innerlichkeit und einem Inneren entgegen.2 Wir sprechen dabei von einer stark beobachtenden Perspektive der auktorialen Stimme. Alles wird dabei verunsichert, verwirrend und damit wandelbar.

In „ Die Überfliegerin wird die Veränderung zuerst an der Wahrnehmung der Dingwelt und deren Beweglichkeit suggeriert, die eine andere Stimmung, eine Verwandlung von Bedingungen ansagt. Die Bedingungen haben sich verändert vor allem der Raum und die Orte. Die äußere Verwandlung geht sogar dem Bewusstsein einer Veränderung durch das Subjekt in einer veränderten Umwelt voraus. Man spricht von Veränderungen des Vertrauten ins Negative, Destruktive und Vernachlässigte. Die Liebe wird auch wie ein Anderes sich Selbst entfremdet. Sogar fängt die menschliche Veränderung der Protagonistin schon mit ihrer Liebesbeziehung, wo sie ihren Freund nicht mehr sehen möchte oder ihn programmatisch sonntags sieht.

„Es hat geklingelt! Ich habe gesehen: da war etwas Festes unter dem Stoff, als er riß. Mein Geliebter steht vor der Tür. […] Es ist Sonntag, erinnert er mich. Ja ! Ich habe nicht daran gedacht. Fangen nicht Sonntage spät am Morgen an?“ (Üb. S. 29. 30).

Ausgehend von den historischen Außenbedingungen werden gesellschaftliche und individuelle Erfahrungen der Figuren in der veränderten DDR radikal. Sie betreffen alle Lebensbereiche, „ Die Russen sind fort“, „ Fort sind sie“ (Üb. S. 14 und 15). Wir sprachen zuerst von einer Entwicklung, Industrie und Mechanisierung, aber es ist eine Entwicklung ins Negative. Jetzt sollte eher von Katastrophen anstatt von Fortschritt gesprochen werden, wie der neue, nüchterne Blick der Protagonistin dies an dem plötzlich festgestellten Verkommen des Bahnhofs und der von der Gerätewelt verschmutzten urbanen Umwelt feststellt und beschreibt. (Vgl. Üb. S 10, 19 f.). Das Bild steht dem Chaos nah und legt eine Zivilisationskritik zentral an. „ Zu überlegen wäre, wie diese Entwicklung hin zum Chaos, zu zunehmender Unordnung abwendbar wäre, und daran wäre zu arbeiten.“ (Lützeler 2005: 59). Alles hat eine Gewisse Veränderung durchgebracht. Sogar der Kosmos wie am Mond ersichtlich ist es schneller. Die Welt ist verschmutzter. Die Züge prallen gegeneinander und Flugzeuge würden in Zukunft aufeinander stoßen. Diese Destruktion hätte sie nicht in dem Alpentraum gesehen. Alles ist in unendlicher Bewegung und ständigen Verwandlungen auch die Dingwelt. Die Natur wie „ Überall im Tierreich“ ist in ihren Naturgesetzen nicht auslegbar. (Vgl. Üb. S. 10).

„[…] Das ist von der Natur so eingerichtet. […] Die Naturgesetze sind nicht auslegbar. Sie sind weder gut noch böse. Man muß sie im Auge behalten Jetzt muß man fest auf den ursprünglichen Bauplan schauen, um nicht den Verstand zu verlieren. Wenn ich aus dem Fenster sehe, liegen die Gleise leicht wie ein Spinnennetz über dem Abgrund.“ (Üb. S. 33).

Aus diesem Zitat entnehmen wir die von der Protagonistin gemeinte Trennung einer Verwandlung der Gerätewelt von der Menschlichen. Diese Textpassage ist ambivalent und will aber die Hoffnung auf den Menschen nicht aufgeben. Zwei Ordnungen stehen einander gegenüber, die der Gerätewelt und die einer Menschlichkeit, die aber auch eine Grenzüberschreitung von Regularitäten impliziert. Unsere Protagonistin scheint die Ordnung der Fantasie und eines Unsichtbaren zu gehören. Die Protagonistin spielt an wiederholten Stellen darauf an, dass alle diese Veränderungen erwarteten, nur sie, auch die Zeitungen. Alle handelten, nur sie nicht „ Alle um mich handeln längst“ (Üb. S. 24). Sie bekennt sich zu einer Innerlichkeit. Die Veränderung liegt zuerst topografisch in den Orten. Die Orte auch verändern sich. Es ist eine Generationen- und Geschichtenfrage. Die Protagonistin als Beobachterin blickt auf ein Außen, bzw. es ist ein Blick von oben, vom Fenster auf ein Abwärts. An der Äußerlichkeit der dargestellten Räumlichkeit, deren Lebendigkeit, Veränderbarkeit sind auch Momente der Häutung zu erkennen.

Raumveränderungen sind Orte zwischen Realität und Fiktion, zwischen Lebewesen und Dingwelt, aber auch in der Liebesbeziehung zu anderen und zu Toma, die russische Freundin. Die Zwischenräume sind diese von der Autorin erfundenen Räume, die auch mit dem Fliegen und Ortwechsel verbunden sind. Sie sind diese interkulturellen Zwischenräume. Es ist auch dieses Schweben, den die Überfliegerin erfindet, wenn sie nicht versteht, was in dieser Wendezeit passiert. Sie ist in einer Schwebe. Sie ist noch zwischen Altem und Neuem. Der Körper und die Psyche machen nicht schnell mit. Sie sind in einem Dazwischen stecken geblieben.

Wir finden Zwischenräume überall und in allen Lebensbereichen, die sie in einem anderen Raum von Idealisten einschreiben lassen. Es geht um Räume der Ambivalenz und Ambiguität auch von einer Abstraktion und Räume der Feststellung von dem Verlorenen Teil der Existenz. Die Menschen schaffen sich diese Räume als ein Weg zu sich selbst und als ein Punkt, eine Pause des Ahnens und Erkennens. Es geht um einen Bruch, der das Existenzielle und Reale mit dem Verborgenen und Begehrten verbindet. Ein Zwischenraum erlaubt dem Menschen die Zusammenführung und Zusammenverbindung der Welt mit der Peripherie und der Welt als eine notwendige mögliche Mischung. In und bei der Bewegung im Zwischenraum ist man in einer Suche nach etwas, das vielleicht von dem suchenden Subjekt selbst nicht bewusst erkannt ist. Der Mangel und die Unzufriedenheit rufen den örtlichen Wechsel und die Grenzüberschreitung als abstrakte Wunschwelt. Bei diesem Prozess kommt man in einem Zwischenraum als den einer abstrakten Differenz, wo man in dieser Leere sich finden kann. Ein Zwischenraum ist ein Raum, den wir als ein dritter Raum zwischen zwei sichtbaren konkreten und begrenzen Räumen bezeichnen können. Er kann ein Ort zwischen existierenden Orten, aber auch ein erfundener interkultureller Raum zwischen den Kulturen sein.

„Aus dieser definitorischen Kopplung von Ort, Grenze und Körper ergibt sich für Aristoteles die Frage nach dem Zwischenraum als Bezeichnung für das „ inzwischen Liegende als Leeres“. Allgemeiner formuliert: Mit der Bewegung von einem Ort zum anderen wird der Raum als Zwischenraum thematisiert, etwa im Sinne des lateinischen Ausdrucks spatium.3 Jede Ortveränderung impliziert demnach eine Bewegung im Zwischenraum: eine Bewegung des Spazierens, die insofern raumkonstitutiv ist, als erst die Bewegung zwischen zwei Orten diese Orte zueinander in eine topologische Relation setzt.“ (Wirth 2012: 8).

3. Grenzüberschreitungen als Selbstsuche

„Offenbar kann der Mensch einerseits nicht ohne Grenzen leben, andererseits fühlt er sich zugleich ständig dazu bewegt, Grenzen zu überschreiten und aufzulösen, um- so lehrt die geschichtliche Erfahrung- neue Grenzen zu ziehen, die dann wieder überschritten werden usw.“ (Platen & Tedtenhaupt 2004: 7).

Es geht in diesem sehr dichten Text von Angela Krauß um Grenzüberschreitungen und Häutungen, die hier in ihrer Vielfalt vorkommen. Die Schriftstellerin bearbeitet also die Wendezeit. Grenzüberschreitungen in „ Die Überfliegerin“ werden von ihr schon von Anfang an dominant repräsentiert und können als Bewegung im Raum und im abstrakten Zwischenraum betrachtet werden.

Der Verlust an Vertrautheit initiiert „ Die Überfliegerin“ Erkundungen und ein Verlangen am Überschreiten von geographischen Grenzen zu erproben (Das Fliegen), die in ihrem Leben bzw. in ihrem Land (DDR) bisher unüberschreitbar und unmöglich waren, aber vorher war das Bedürfnis oder die dringende Bedürftigkeit an Überschreitung von utopischen und abstrakten Grenzen, die des Daseins und der Existenz, darunter ist einleitend an dem Bahnhof als Durchgangsort abstrakt assoziiert zu zählen. Erweitert kann die Überschreitung auch auf die von literarischen Normen und Grenzen überzogen werden, die von einer Ambiguität und Ambivalenz der Sprache und einer Vielschichtigkeit getragen werden, was auch eine verschlüsselte Form der Gattung impliziert.

Die Problematik der Grenzüberschreitungen in „ Die Überfliegerin“ fängt schon am Anfang des Diskurses mit ambivalenten Bildern und mit einer kontrastiven Sprache. Gemeint ist die Anonymität und absolute Unbestimmtheit der Situationen, Ereignisse und Stimmen, die zur Identifikation der Problematik in Die Überfliegerin“ führen. Während die Protagonistin immerzu in westliche Richtung - von Leipzig immer gegen Westen - fliegt, kommt sie am Ende wieder in den Osten bzw. nach Deutschland nach einer langen Reise zurück. Davon ausgehend, ist klar gemeint, dass der Mensch immer bei sich selbst im Leben (nolens volens) ankommen wird, egal wie der Name heute heißen mag.

Die Grenzen und ihre Überschreitungen, die auch die Bedingungen implizieren oder meinen, erzählen auch über die Existenz und das Dasein eines Menschen, aber auch von dem Bedürfnis nach Anderem. Mit dem Fliegen bei Angela Krauß haben wir das Andere mit dem Wunsch bzw. mit dem Begehren nach einem Jenseits zu verbinden, das zugleich die Kultur als andere Kultur umfasst. Mit der Reise ist die Enge verschwunden und damit die Schreibgrenzen, denen die Schriftstellerin im Schreibprozess ausgesetzt war. Reisen kann eine Suche nach dem Leben sein oder eine Suche nach einem anderen Leben, dem Nicht-Gewordenen und dem Verdrängten, dem man bewusst wird. Es drückt auch ein Denken aus. Man glaubt, dass es ein besseres Leben unter besseren Bedingungen an anderen Orten gibt. Erst im zweiten Kapitel nach der Reise ist die Protagonistin sicher geworden, dass es ein anderes Leben und andere Welt draußen gab und sie nichts davon wusste. Nur jetzt durch den Zufall sieht sie diese Neuerungen, Veränderungen und Andersheiten. Diese Situation verweist auch darauf, dass Veränderungen schließlich von einem Inneren, Unsichtbaren und einer Wahrnehmung ausgehen und darauf, dass die Protagonistin eine Zeit innerer Verarbeitung gebraucht hatte.

Die Auslösung der Grenzen ist in diesem Text vielfältig als Beispiel nennt man die Verwandlungen und Veränderungen von Menschen (Herr Händschen) sowie von Dingen und Natur, sogar von dem Mond, die Enge und die Gefühle der Einschränkung, des Beschränkt-Seins in ihrer Stadt als Industriestadt sind von einer Perspektive, von einem Oben als Ausdruck für eine negative Energie zu gewinnen. Sie fühlte sich fremd, verloren und allein. Diese Erfahrungen ins Besondere das Beobachten von Oben führten sie zu aggressiven auch symbolischen Reaktionen, nämlich zum Abreißen der Tapeten als vertraute enge Umgebung. Sie enthäutet sich von ihrem gewöhnlichen eigenen Raum als Lebensraum. Diese Fremdheitsbegegnung im eigenen Haus war ein Motiv für diese Reise bzw. das Überschreiten von Grenzen.

Die Überfliegerin wartete immer auf eine Tat, die nicht in Zeitungen immer stand. Endlich war es das Fliegen oder das zwischenzeitliche Verlassen der Erde. Sie vergisst dabei die Erde als wäre sie ein Vogel. „ Als wäre ich mit Flügeln in die Welt gekommen.“ (Üb. S. 55). Das wichtigste für sie war das Fliegen als Fliehen und Befreiung zwecks einer Selbst-Suche. Sie wollte nicht verstehen, wo oder wie sie weitermachen müsste. Sie geht immer in westliche Richtung. Sie erfindet sich einen Weg aus vollen Erwartungen und Sehnsüchten.

4. Die Liebe als Nacktheit und Zwischenraum

„Unsere Liebe hat unsere Zukunft noch nicht berührt, sie hat sie noch nicht gefunden, und ich kann ihr den Weg nicht zeigen. Meine Zukunft irrt durch die weite Welt. Ich muß sie erst wieder einfangen. Vielleicht ahnt er das ? Oder nicht ? Die Liebe beruht ohnehin auf Vermutungen.“ (Üb. S. 31).

Die Liebesthematik ist in den Texten von Angela Krauß dominant vertreten in einer Bezugnahme auf den Andere, aber auch auf die Zeit. Die Überfliegerin ist eine Figur, die durch das Begehren und ihre Liebeserwartung gekennzeichnet ist. Sie bietet eine Alternative für das, was ihr fehlt. Es geht grundsätzlich um die Frage des Begehrens, das hier in dem Vordergrund kommt, und trotzdem eine komische Art in der Erwartung des Sehens und Blicks des Anderen auf die Protagonistin ausdrückt.4 Die Situationen bleiben immer sehr esoterisch, verschlüsselt und in halben Worten gesagt. Das Begehren und die Liebesthematik sind hier die ersten motivischen Leitmotive. Es geht um einen inneren Drang nach Liebe, nicht unbedingt einem physischen Drang im Sinne des Sexuellen, sondern des Geliebt-Seins. Sie sucht und erwartet fast obsessionel die Liebe, was damit indirekt erschließen lässt, dass die Protagonistin eine intensive Fremdheit fühlte. Die Liebe nach Angela Krauß ist nicht nur diese Beziehung zwischen der Frau und dem Mann. Sie unterscheidet gründlich zwischen zwei Arten von Liebe und hat sie in „ Die Überfliegerin“ stark betont, nämlich: eine Gesamtliebe und eine Einzelliebe. Für sie ist die Gesamtliebe am Wichtigsten, denn in dem Liebeprozess soll man eine Art Vollkommenheit, Ruhe und Ergänzung finden. Die Gesamtliebe ist eine Selbstsuche beim Suchen nach dem Anderen. Die Liebe entsteht im Fall eines Mangels und Sehnsucht, um neue Sehnsüchte und Lücken zu fördern. Das Verlorene oder das suchende Subjekt spiegelt sich in dem Anderen und schafft sich mit seinen Geliebten eine Mikro-Welt. „ Wir lieben, was uns ergänzt.“ (Krauß 2004: 41). Die Gesamtliebe ist unbelehrbar und bedarf keiner Rechtfertigung wie die Einzelliebe und wird an der Reise durch die Welt, Neugier für andere Menschen anschaulich gemacht und als letzte dominante Erfahrung angenommen. Mit der Verwandlung befreit sich auch die Liebe von allen Zwängen und Bindungen. Es gilt das Gesetz der absoluten Offenheit auf die anderen Weltteile und Menschen.

Mit der Liebe ist auch der Zwischenraum und Begegnungsraum präsent und deswegen ist auch ein Austausch, der immer zu erfinden ist. Man ist nicht in sich, sondern in einem außen bzw. in einer Bezugnahme auf eine andere Person oder auf eine Dingwelt. Die Liebessprache ist zunächst einmal eine innere Sprache, die aber immer nach körperlichen Ausdrucksweisen als Veräußerung des Inneren, wie in dem Zugang auf das Andere umschrieben wird. Es geht hier um Menschen, um das Andere und um die Suche nach Nähe. Denn in der Liebe ist eine gewisse Sicherheit, die sie sucht. Die Alterität durchschaut als Grundproblematik und meint sowohl die Alterität im Sich-Selbst als auch im Anderen einer neuen Räumlichkeit, eines verbindenden Zwischenraums. Die „ Gesamtliebe“ umschreibt sie als „ Zwischenraum“ und als „ Nacktheit“, damit definiert sie sie auch als Grenzüberschreitung aus dem Inneren eines Einzelnen. Auch differenziert sie diese von der Einzelliebe. (Vgl. Üb. S. 23, 26, 27)

Der Mensch verliebt sich in eine andere Person. Er interessiert sich für sie und steht mit ihr in einem festen seelischen oder körperlichen Zusammenhang. Wir können aber auch Dinge und Gegenstände lieben. Diese Liebe ist ganz anders. „ In Liebeszusammenhängen flüstern die Wesen der Dinge und die Wesen der Menschen miteinander.“ (Üb. S. 26). In dieser Liebesbeziehung fühlt die Protagonistin aber eine Gewisse Fremdheit und Unklarheit, ihr Anspruch gilt der ganzen Durchsichtigkeit, auch im Unsichtbaren: „ Ich weiß nicht, worüber er nachdenkt. So kann ich seine Gedanken nicht lieben, wonach es mich verlangt“ (Üb. S. 31). Auch ist ihre Liebesvorstellung nicht rein emotional oder irrational. Die Protagonistin ist ein Kopfmensch so zu sagen, dem es nach Offenheit und nach Deutlichkeit in der Wahrnehmung und Erwartung verlangt.

Die Überfliegerin ist eine Figur, die die Dinge und Menschen in einer absoluten Offenheit lieben kann. Sie ist empfänglich und offen auf Liebe. Sie begegnet den Orten mit sehr viel Nachsicht, Sehnsucht, Erwartung, Begehren und Liebe, aber was die Liebe zu ihrem Freund betrifft, ist die unsichtbare Dimension entscheidend ; sie ist zwar zärtlich zu ihrem Freund, aber bei ihr hat diese unsichtbare Seite der Liebe einen entscheidenden Wert. In der Wendezeit geht ihr alles abhanden und wird unsichert, und fast sollte sie ihre Gefühlswelt neugewinnen.

„[…] Mein Geliebter ist so unverhofft erschienen, daß ich für Augenblicke vergessen habe, woher er kam und in welchem Leben ich ihn unterbringen soll. Ich kann ihn für den Moment nirgends unterbringen. Und auch mich selbst, nirgends. […] Ich habe den Sonntag nicht erkannte. Jetzt erinnere ich mich: die Sonntage gehören meinem Geliebten.“ (Üb. S. 30).

Fazit

Die Erzählung „ Die Überfliegerin“ kennzeichnet sich durch Merkmale der Postmoderne. Die Autorin übt in verschlüsselten Formen der Unbestimmtheit und Ambiguität, eine Kritik an der unerfüllten Modernität durch die Industrie und verfallene moderne Welt bzw. Dingwelt, die zuerst an der äußeren Beschreibung der Destruktion und dem Verfall von Stadt und Natur fassbar ist. An diesen Bildern aber der veränderten menschlichen, bzw. befreiten Kommunikation wird die Wende als das Doppelte und die andere neue Welt mit neuen Verhältnissen spürbar. Das Schreiben der Autorin Angela Krauß hat einen besonderen Stil. In diesem Roman geht sie von einem Raum, der erzählt aus. Diese topographische geographische Dimension spielt eine wesentliche Rolle in ihrem Erzählverfahren und damit auch im Prozess der Begegnung von Menschen, näher der Protagonistin mit Ereignissen, Zufälligkeiten in einer nicht mehr erkennbaren vertrauten Umwelt. Davon ausgehend und auf Basis der dialogisch-dramatischen unmittelbaren Ich-Erzählstimme und der literarisch verarbeiteten historischen Periode hat die Autorin ihre eigene Zeichenhaftigkeit, Kode und Technizität erfunden, um ihre Erfahrungen, alte Befangenheit, Kritik und ihre Kommentare an dieser Wendezeit, aber auch Erwartungen auch von einer neuen Zeit zu vermitteln. Die Topographien und Räume sind zentral und dominant vertreten. Sie erzählen von Geschichtsperioden und funktionieren zur Kultur komplementär und als reflexives und selbstreflexives Raumgedächtnis. Räume haben mnemotechnische Funktionen. Man kann sich in einem Raum bewegen, aber auch in einem erfundenen Zwischenraum, der ein dritter Raum ist, ein abstrakter Raum, ohne Körper aber mit Seele und Gedanken. Die Zwischenräume betreffen in „ Die Überfliegerin“ nicht nur die Topographie, sondern auch Erinnerungen, die Liebe, Liebesbeziehungen der Protagonistin und viele andere Motive wie das Fliegen. In dem Fliegen sind eine Grenzüberschreitung und ein Befreiungsakt kenntlich und umschrieben; darin liegt wie eine Suche nach der verlorenen und dem unterdrückten Teil der Identität des Menschen, aber auch nach anderen bisher ungeahnten Wirklichkeiten, wie auch fremden Freunden.

1 Im Folgenden als „Üb.“ abgekürzt.

2 Tatsachen-Menschen erinnern uns intertextuell an Christa Wolf in „ Der Geteilte Himmel.

3 Hervorhebungen im Original.

4 Zur Liebesthematik von Seite 26 – 33 wird esoterisch formuliert, jedoch eng mit Naturbildern und Naturelementen verwickelt.

Literaturverzeichnis

Foucault, Michel. 2005. Die Heterotopien, Der utopische Körper, zwei Radiovorträge. Berlin: Suhrkamp.

Gees, Marion. 2014. Poetik des Zwischenraums Zum Werk von Angela Krauß. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Köhler, Astrid. 2007. Brückenschläge. DDR-Autoren vor und nach der Wiedervereinigung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Krauß, Angela. 2004. Die Gesamtliebe und die Einzelliebe Frankfurter Poetik-Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Dies. 1995. Die Überfliegerin. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Lützeler, Paul Michael. 2005. Postmoderne und Postkoloniale deutschsprachige Literatur, Diskurs – Analyse – Kritik. Bielefeld: Aisthesis Verlag.

Marszalek, Magdalena & SASSE, Sylvia. 2010. Geopoetiken. Geopoetische Entwürfe in den mittel- und osteuropäischen Literaturen. Berlin: Kadmos.

Platen, Edward & Todtenhaupt, Martin (Hg.). 2004. Grenzen, Grenzüberschreitungen Grenzauflösen: Zur Darstellung von Zeitgeschichte in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur (III). München: IUDICIUM Verlag GmbH.

Wirth, Uwe (Hg.). 2012. Bewegen im Zwischenraum, unter Mitarbeit von Julia Paganini. Berlin: Kulturverlag Kadmos Copyright.

1 Im Folgenden als „Üb.“ abgekürzt.

2 Tatsachen-Menschen erinnern uns intertextuell an Christa Wolf in „ Der Geteilte Himmel.

3 Hervorhebungen im Original.

4 Zur Liebesthematik von Seite 26 – 33 wird esoterisch formuliert, jedoch eng mit Naturbildern und Naturelementen verwickelt.

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