Das Heterotopie-Konzept in Peter Handkes Kriminalroman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. 1970

مصطلح الهيتروتوبيا في الرواية البوليسية لبيتر هاندكي. خوف حارس المرمى عند تسديد ركلة الجزاء

Le concept d’Hétérotopie dans le roman policier de Peter Handke. L’angoisse du gardien de but au moment du pénalty. 1970

The Concept Of Heterotopia In Peter Handke’s Crime Novel The Goalie’s Anxiety At The Penalty Kick. 1970

Shahrazede Oukaci

p. 83-95

Shahrazede Oukaci, « Das Heterotopie-Konzept in Peter Handkes Kriminalroman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. 1970 », Aleph, Vol 11 (2) | 2024, 83-95.

Shahrazede Oukaci, « Das Heterotopie-Konzept in Peter Handkes Kriminalroman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. 1970 », Aleph [], Vol 11 (2) | 2024, 14 January 2024, 11 October 2024. URL : https://aleph.edinum.org/10290

Der französische Philosoph und Psycholog Michel Foucault hat den Begriff der Heterotopie im Vorwort zu Les mots et les choses im Jahre 1966 zum ersten Mal eingeführt. Seitdem ist eine markante Fokussierung auf das Heterotopie-Konzept in Literaturwissenschaften festzustellen. Erstere erfahren in dieser Hinsicht sogar einen „Topographical Turn“. Das Heterotopie-Konzept orientiert sich an Vorstellungen von Raum und Räumlichkeit, Machtauübung und Negation der Macht. Postmoderne Texte kennzeichnen sich durch diese neue Wendung der Literatur. Sie sind also vom Foucaultschen Heterotopie-Konzept nicht zu trennen. Der literarische Text ist heute sogar als heterotopischer und topographischer Ort zu verstehen. Viele Autoren poetisieren dieses Konzept, einer von ihnen ist der österreichische Autor Peter Handke. Sein im Jahre 1970 erschienener Kriminalroman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter beruht auf demselben Konzept. Sein Kriminalroman kennzeichnet sich durch die Vielschichtigkeit seines poetischen Diskurses. Bei Handke formen Heterotopien ein Netz von Räumen und Orten, die sich im Nebeneinander und Auseinander durchkreuzen. Die Ästhetik Handkes ist eine Ästhetik topographischer Art, die im vorliegenden Aufsatz analysiert werden soll.

قدم الفيلسوف وعالم النفس الفرنسي ميشيل فوكو مصطلح التغاير لأول مرة في مقدمة Les mots et les choses في عام 1966. منذ ذلك الحين، كان هناك تركيز ملحوظ على مفهوم التغاير في الدراسات الأدبية. حتى أن الأول يعاني من « تحول طوبوغرافي“.

يعتمد مفهوم التغاير على أفكار المكان وممارسة القوة ونفي القوة. تتميز نصوص ما بعد الحداثة بهذا التحول الجديد في الأدب، لذلك لا يمكن فصلها عن مفهوم فوكو. اليوم، يمكن فهم النص الأدبي على أنه مكان ومصطلح طوبوغرافي.

يشعر العديد من المؤلفين بهذا المفهوم، أحدهم هو المؤلف النمساوي بيتر هاندكه. روايته الإجرامية خوف حارس المرمى من ركلة الجزاء على نفس المفهوم. تتميز روايته الإجرامية بتعقيد خطابه الشعري.عند هاندكى، تشكل الهيتروتوبيا شبكة من المساحات والأماكن التي تتقاطع في التجاور والفصل. جماليات هاندكه هي جمالية ذات طبيعة طوبوغرافية، والتي يجب تحليلها في هذا المقال.

Le philosophe et psychologue français Michel Foucault a introduit pour la première fois le concept d’hétérotopie comme dans la préface de Les mots et les choses en 1966. Depuis, on constate et on observe une focalisation marquée sur le concept d’hétérotopie dans les études littéraires. Les disciplines scientifiques actuelles peuvent même être qualifiées de Topographical Turn. Le concept d’hétérotopie comme lieux d’expression de pouvoir et de négation oriente vers des représentations de l’espace et de la spatialité. Les textes postmodernistes se caractérisent par ce nouveau tournant de la littérature. Ils sont donc indissociables d’un réseau relationnel du concept d’hétérotopie de Foucault. Aujourd’hui, le texte littéraire est même compris comme un lieu hétérotopique et topographique. De nombreux auteurs se consacrent à ce concept.
L’auteur autrichien Peter Handke thématise dans son livre 
L’angoisse du gardien de but au moment du pénalty, paru en 1972, il thématise le concept d’hétérotopie. Son roman proche d’un roman policier se caractérise par la complexité de son discours et des relations entre espaces, pensée, langage et comportement comme cet autre espace de Négation. Chez Handke, les hétérotopies sont un réseau d’espaces et de lieux qui se croisent en se juxtaposant et en s’écartant. L’esthétique de Handke est une esthétique de type topographique, qui sera analysée dans le présent essai.

The French philosopher and psychologist Michel Foucault first introduced the concept of heterotopia in the foreword to Les mots et les choses in 1966. Since then, there has been a marked focus on the concept of heterotopia in literary studies. Today’s academic disciplines can even be described as a topographical turn. The concept of heterotopia is orientated towards ideas of space and spatiality. Postmodernist texts are characterized by this new turn in literature. They are therefore inseparable from Foucault’s concept of heterotopia. Today, the literary text is even understood as a heterotopic and topographical place. Many authors dedicate themselves to this concept. A good example of this is the Austrian author Peter Handke. In his book The goalie’s Anxiety at the Penalty Kick, published in 1972, he thermalizes the concept of heterotopia. His crime novel is characterized by the complexity of the discourse. Handke’s heterotopias are a network of spaces and places that intersect in juxtaposition and divergence. Handke’s aesthetics is an aesthetics of a topographical nature, which will be analyzed in this essay.

Einleitung

Im Jahre 1966 hat Michel Foucault den Begriff der Heterotopie als Bezeichnung für andere Räume im Vorwort zu „les mots et les choses“ eingeführt und dann in seinen Radiovorträgen „Die Heterotopie“ wieder aufgenommen. (vgl. Tafazoli/ T. Gray 2012: 8). Der Begriff der Heterotopie orientiert sich nach Vorstellungen von Raum und Räumlichkeit. (ebd.,) Foucault kategorisiert den Raum in Innen- (espace du dedans), Außen- (espace du dehors), Gegen- und Mitraum. (Ebd.). In seinem Radiovortrag vom Jahre 1967 spricht er von anderen Kategorisierungen von Raum; wie Transit- und Zwischenorten. Ihn interessieren auch Räume, die man auf keiner Karte und nirgendwo finden kann. (vgl. Foucault 2014: 9). Diese Orte können am ortlosen Ort und in menschlichen Träumen und Repräsentationen entstehen. Er nennt sie Utopien. Die letzten umfassen die imaginäre Dimension von Projektionsräumen. Foucault bezeichnet also unser Zeitalter sogar als Epoche des Raumes und als Netz, dessen Punkte sich kreuzen und Punkte verbinden. In diesem Zusammenhang sagt er:

„Wir leben im Zeitalter der Gleichzeitigkeit, des Auseinanderreihens, des Nahen und des Fernen, des Nebeneinander und des Zerstreuten. Die Welt wird heute nicht mehr so sehr als ein großes Lebewesen verstanden, das sich in der Zeit entwickelt, sondern als ein Netz, dessen Stränge sich kreuzen und Punkte verbinden.“ (Tafazoli/ T. Gray 2012: 9)

Heterotopien sind bei Foucault konkrete Orte, die meist eine Institutionalisierung negieren und außer Kraft setzen. Diese Orte erfüllen eine gesellschaftliche Funktion wie zum Beispiel Cafés, Städte, Straßen, Garten, Friedhöfe, Gefängnisse, Theater, Kinos, Museen, Bibliotheken, Jahrmärkte… etc. (vgl. Foucault 2014: 11) All diese Beispiele gehören zu einer Wissenschaft, die nach Foucault Heterotopologie heißen soll.

Heterotopien sind nicht konstant und weisen unterschiedliche Formen auf. Sie unterscheiden sich von einer Gesellschaft zu einer anderen. Nach Foucault können Gesellschaften sogar nach Heterotopien eingeteilt werden. (vgl. Foucault 2014: 11). Diesbezüglich sagt Foucault: Der Mensch lebt in keinem leeren und neutralen, sondern in einem vielfach unterteilten Raum, mit harten und weichen, leicht zu durchdringenden porösen Gebieten. (vgl. Tafazoli/ T. Gray 2012: 8).

1. Peter Handkes Poetik und das Foucaultsche Heteretopie-Konzept

Modernistische und postmodernistische Prosatexte kennzeichnen sich durch bestimmte Kategorisierungen von Heterotopien. Hiermit wird postuliert, dass der literarische Text bzw. Diskurs heute also von Foucaults Heterotopie-Konzept nicht zu trennen ist. Der literarische Text wird heute aufgrund seiner konstruierten Wirklichkeit sogar als heterotopischer Ort verstanden. Modernistische und postmodernistische Autoren wenden sich diesem Begriff zu. Einer von ihnen ist der österreichische Autor Peter Handke.

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter ist ein Gewebe von Signifikanten (vgl. Barthes 2006: 66) , das eine bestimmte Heterogenität und Dynamik voraussetzt. Dieser Roman ist das bekannteste Werk vom österreichischen Autor Peter Handke, das im Jahre 1970 veröffentlicht wurde. Sein Kriminalroman, Essay handelt von der Hauptfigur Josef Bloch, die ziellos durch die Stadt Wien flaniert. Blochs Karriere als Torwart war ruiniert, als er bei einem Penalty den Ball ins Tor gehen ließ. Von diesem Augenblick zerfällt sein wohl geordnetes Leben ins Chaos. Bloch verliert seine Sprache. Die Figuren des Textes sind sprachlos. Die Begegnungen von diesen Figuren sind durch Momente des Schweigens gekennzeichnet. Im Text finden Umkehrungen statt. So sprechen die Dinge im Text, aber nicht die Menschen. Blochs Leben ist also eine Reise, Lebensleere und ein unendliches Unterwegssein. Darin handelt es sich demzufolge um den Verlust an menschlicher und sozialer Betroffenheit und Vitalität.

Handke spielt in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter mit zwei Raumebenen, nämlich der Fiktion und Wirklichkeit, mi dem Sagbaren und Unsagbaren, mit dem Positiven und Negativen ebenso wie mit verschiedenen Erscheinungsformen des Raumes und der Sprachlichkeit. Diese komplexe vielschichtige Textstruktur sagt eine Ambiguität und Sinnsuspension an, denunziert zudem eine Enthumanisierung gesellschaftlicher Beziehungen. Handkes literarischer Diskurs ist ein konstruktivistischer und montierter Text. Sein Hauptgegenstand ist keine gewöhnliche Kriminalgeschichte zu erzählen, sondern die innere Wirklichkeit seiner Hauptfigur mittels Sprache und Negation darzustellen. Der Autor möchte dem Leser damit zur Schau stellen wie die von ihm vertrauten Zeichen, Buchstaben, Wörter, Sätze und Strukturen zu äußersten Missverständnissen führen können. Der Sinn wird daher nicht abgegrenzt und klar vermittelt (er wird auf anderen Ebenen verschoben). Er bleibt suspendiert und verwandelt sich sogar in ein Spiel mit dem Leser. (vgl. Barthes 2006: 71)

Handkes Kriminalroman kennzeichnet sich durch die Vielschichtigkeit des Diskurses. Sein Kriminalroman bzw. Text entspricht einer doppelten Logik von Metapher und Verschiebung. In der Zeit der Produktivität, der Unendlichkeit, der Polyphonie und der Pluralität der Bilder scheint Bloch eine normale Figur zu sein. Aber wenn er zu sprechen versucht, dann verraten ihn die Wörter. In der Zeit eines inter-dit und entre-dit (vgl. Normand 1976). Die Wörter verraten ihn. Deshalb verhält er sich sehr unruhig, was ihn in eine krisenhafte, metasprachliche Reflexion subversiv verleitet.

In Die Angst des Tormanns beim Elfmeter handelt es sich um eine spielartige Deformation und Dekonstruktion von vorherrschenden gesellschaftlichen und sozialen Normen. Handkes Protagonisten lösen sich aus allen Lebens- und Wahrnehmungszusammenhängen, was der Hauptfigur die Aufgabe erschwert (siehe Horvăth: 2005), sich mit ihrer Umgebung zurechtzufinden. Handkes Subjekt Bloch wird zum Außenseiter, der allerdings das Leben in der lebendigen Dingwelt ersucht. Sein asoziales Verhalten stört nicht nur dessen Umgebung, sondern auch die Rezipienten, bei denen ein gewisser Verfremdungseffekt provokativ ausgelöst wird. Seine ersuchten Annährungen an Menschen bleiben ergebnislos und gelten als gescheiterte Kommunikationsversuche.

Bei Peter Handke sind die Heterotopien ein Netz von Räumen und Orten, die sich im Nebeneinander und Auseinander durchkreuzen und überschreiten. (siehe Strinz: 2010). Sie sind Orte der Dekonstruktion, Transgression und Negation. Dieselben fungieren als Erinnerungsorte und realisierte Utopien des gleichgültigen Helden J. Bloch. Handkes Ästhetik ist eine Ästhetik topographischer Art. Seine Heterotopien lassen sich mittels der persönlichen Erinnerung der Hauptfigur Bloch konkretisieren. Jene Heterotopien sind eng mit den Aspekten der Zeit, des Raums und Orts verbunden. Deshalb ist es hier auch notwendig zwischen diesen Kategorien zu unterscheiden. Die daraus hervorgehende Raumkonfiguration stützt sich auf eine Ordnung und eine Konstellation von festen Punkten (ein Netz). (Ebd.) Der Raum besitzt etwas wie Individualität. Außerdem ist der Raum

„Ein Ort, mit dem man etwas macht […]. Er ist gewissermaßen von der Gesamtheit der Bewegungen erfüllt. Ein Resultat von Aktivitäten, die ihm eine Richtung geben.“ (Ebd.: 172 ).

Laut Foucault: „Im Raum können verschiedene Dinge an derselben Stelle sich befinden und so das Nebeneinander realisieren.“ (Ebd.: 172).

In Handkes Kriminalroman Die Angst des Tormanns beim Elfmeter gibt es ebenfalls verschiedene Zeitschichten. Seine Figuren suchen nach dem Vergangenen. Sie holen das Vergangene durch das Spazierengehen in die Stadt oder an verschiedenen Orten. Das Leben seiner Hauptfigur Bloch ist eine Reise, eine „Lebensleere“ und ein unendliches Unterwegssein. Bloch bewegt sich tagsüber ziellos. Sein Alltag ist von Zufälligkeiten bedingt. Die Orte gehören seiner Übergangserfahrung wie das Hotel, das Kino, oder auch der Zug sowie den zufällig begegneten Menschen.

Handkes Zeit-Raum in die Angst des Tormanns beim Elfmeter bündelt verschiedene Zeiten und Ereignisse wie Erinnerungen an Personen aus der Vergangenheit exemplarisch an Blochs Erinnerungen an seine Frau, die nicht genannt bzw. anonym bleibt; Eindrücke der Gegenwart wie bei der Begegnung mit der Kinokassiererin Gerda; und letztens Ereignisse, die auf eine Zukunft projiziert und verschoben werden. Bloch weiß beispielsweise, dass er wegen seiner Mordtat von der Polizei festgenommen wird.

Die Zeitraumbezüge bei Handke sind nicht „Es war einmal“, sondern ein „Es fängt an“ (Ebd.: 173) , das heißt sie sind nicht eine Utopie, sondern ein Konkretum. Die Heterotopien des Textes verschieben sich auf eine sprachliche Konkretheit. Im Text implizieren die sprachlichen Ordnungen räumliche Ordnungen. Der Raum ist also bei Bloch bzw. Handke erst beim Wort möglich. Ist das Wort abwesend, wird dann der Raum gestört. (Ebd.) Handkes Text läuft auf eine Absurdität der Welt, des Handelns von Menschen, die sich suchen und sich letztendlich nicht finden.

2. Der Naschmarkt als eskapischer Ort in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Heterotopien kommen in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter als Orte und Räume der Negation und Transgression vor. Schon im Titel selbst impliziert Handke einen Ablauf von Zeit und Ort. Das ist in eigentlichem Sinn eine Angst vor dem Tor und beim Elfmeter. Im Vorwort schreibt er „Der Tormann sah zu, wie der Ball über die Linie rollte“ d. h. der hoffnungslose Mensch Bloch sieht wie der Ball über die Grenze geht. Seine Karriere als Torwart, wie zuvor angegeben ist ruiniert, als er bei einem Strafstoß den Ball einfach zwischen seinen Beinen hin durchrollen ließ. In dieser Geste der Grenzsituation liegt eine Überschreitung im eigenen Scheitern. Der Textanfang als Schlüsselpassage zeigt auch, dass der Handkesche Diskurs eng an Heterotopien verbunden ist. Handke sagt:

„Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekannter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, dass er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, dass bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhütte, wo sich die Arbeiter gerade aufhielten, nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine solche Mitteilung aus und verließ das Baugelände. Auf der Straße hob er den Arm, aber das Auto, das an ihm vorbeifuhr, war- wenn Bloch den Arm auch gar nicht um ein Taxi gehoben hatte- kein Taxi gewesen.“ (Handke 7)

Blochs Entlassung an diesem Ort hat sein Leben total zerstört. Er verhält sich wahnsinnig. Dinge und Gesten sind in dieser Szene absurd dargeboten. Den Blick von den Arbeitern versteht er als Entlassung. Bloch denkt, dass er gefeuert wird. Er reagiert darauf mit einem Schweigen, dann verlässt er den Arbeitsplatz.

Bloch vertraut niemandem. Ihm fehlt es an sozialem Kontakt. Der einzige harmonische Ort ist für ihn der Naschmarkt. Wobei der Letzte kein beständiger Lustort ist. Er ist ein Transitort beziehungsweise ein emotionaler Übergangsort (Übergang vom Nicht-Gut-Fühlen zum Wohl-Fühlen). Es ist ein Ort, wo sich Bloch wohlfühlt und seine Wut vergisst. Zum Naschmarkt zu gehen und ihn zu besuchen, bereitet ihm Lust. Der Naschmarkt scheint konsequenterweise sein Zufluchtsort zu sein. In diesem Zusammenhang schreibt Handke:

„Bloch drehte sich wieder um, stieg ein und ließ sich zum Naschmarkt fahren. Es war ein schöner Oktobertag. Ass an einem Stand eine heiße Wurst und ging dann zwischen den Ständen durch zu einem Kino.“ (Ebd.: 7)

Der Naschmarkt ist also eine Art Negation der Weltordnung, der Gesetze und des Ausschlusses aus der Arbeitswelt bzw. der ökonomischen Welt. Im Text heißt es wiederum: „Zurück am Naschmarkt, beim Anblick der unordentlich gestapelten leeren Obst- und Gemüsekisten hinter den Ständen, kam es ihm wieder vor, als ob die Kisten eine Art von Spaß seien. Auf dem Naschmarkt rehabilitiert Bloch sein Recht auf Lust, Freude und Glück.“ (Handke, 16).

3. Das Kino und der Film als dominante und intermediale Fluchtorte

Des Weiteren spielt das Kino als heterotopischer und intermedialer Ort eine zentrale Rolle im Werk. Das Kino ist zugleich ein utopischer Projektionsort: Es ist nach Foucault ein großer rechteckiger Saal, an dessen Ende man auf eine zweidimensionale Leinwand einen dreidimensionalen Raum projiziert. (vgl. Foucault 2014: 13). Es ist ein Geselligkeitsort; ein Ort der Lebendigkeit und des Traums, aber auch als Ort der Distanzierung zum Alltag. Bloch geht andauernd ins Kino. Dort wird die Aktualität ausgestrahlt. Auf Seite 7 heißt es: „Im Kino drinnen atmete er auf.“ (Ebd.: 7). Im Text steht es: „Da das Kino am Samstag Nachtvorstellung hatte, kam Bloch sogar noch zu früh.“ (Ebd.: 12).

Das Kino und der Film sind dominante Motive im Text. Das Kino erfüllt hier die Funktion eines Fluchtorts und verweist auf ein intermediales Spiel im Spiel literarischer künstlerischer Diskurse. Es ist eine Flucht vor der Realität ins Dunkle und ins Irreale. Im Kino erfährt Bloch widerum die Aktualität bildlich und szenisch. Das Kino gilt als topographischer Ort des Traums. Die Schauspieler erzählen Bloch im Kinofilm über seine Träume mittels einer fiktiven und reellen bzw. ambivalenten Wirklichkeit. Diese Realität stört die Hauptfigur Bloch. Man hat den Eindruck, als betrachte Bloch seinen eigenen Untergang, sein Schicksal im Film. Handke schreibt auf Seite 07: „Alles, was er sah störte ihn; er versucht möglichst wahrzunehmen.“

4. Das Café, das Hotel und der Bahnhof als signifikante Transitorte

Neben dem Kino spielen Orte wie das Café, das Hotel, und der Bahnhof eine wichtige Rolle im Text. Das Café ist beispielsweise ein topographischer Ort, wo Bloch Zeitungen und Zeitschriftenregelmäßig liest. Zeitungen zu lesen scheint Bloch keinen Sinn zu haben, weil sie von seiner eigenen Wirklichkeit (von der Wirklichkeit eines Scheiterns) nicht berichten; er kauft täglich Zeitungen, die er aber nicht richtig liest. Handke schreibt:

„In einem Kaffeehaus trank dann lange an dem Leitungswasser, das man in einem Glas zu dem Kaffee servierte. Ab und zu stand er auf und holte sich eine illustrierte von den Stapeln, die auf den eigens dazu bestimmten Stühlen und Tischen lagen; die Serviererin, als sie einmal die neben ihm gehäuften Illustrierten abholte, gebrauchte im Weggehen das Wort Zeitungsstich. Bloch, der einerseits das Durchblättern der Zeitschriften schwer ertrug, andererseits kein Heft, bevor es ganz durchgeblättert hatte, zur Seite legen konnte, versuchte, zwischendurch auf die Straße zu schauen.“ (Handke, 9).

Zeitungen zu lesen machen Bloch sogar wütend:

„Als, ohne dass ein Absatz gemacht wurde, die Sätze unvermittelt von etwas ganz anderem, von einer anderen Person, handelten, schrak er auf. Da hätte man doch einen Absatz machen müssen! dachte Bloch, der nach dem kurzen Aufschrecken wütend geworden war.“ (Ebd.: 17).

Die Zeitungen interessieren Bloch nicht, weil sie Leerstellen, ein Schweigen und ein Nicht-Gesagtes rekurrent aufführen. Er kauft sie täglich, aber liest sie doch nicht:

„Er ging schnell hinaus, um ein paar Zeitungen zu kaufen. Er faltete sie nicht, sondern trug sie unter dem Arm zum Hotel zurück. Er setzte sich wieder an den Frühstücktisch, den man schon abgeräumt hatte, und entfernte die Anzeigenbeilagen; das bedruckte ihn.“ (Ebd.: 8-9)

Blochs Kommunikationsversuche sind eine Entgrenzung seiner Ausgrenzung in dieser urbanen Welt ohne Anhaltspunkte. Er ist ständig auf der Suche nach einem Anderen, nach Menschen, trotz seiner fehlenden, ungenügenden Gesprächigkeit. Handke zitiert:

„Bloch der einerseits das Durchblättern der Zeitschriften schwer ertrug, andererseits kein Heft, bevor er es ganz durchgeblättert hatte, zur Seite legen konnte, versuchte zwischendurch ein wenig auf die Straße zu schauen, der Gegensatz zwischen dem Illustriertenblatt und den wechselnden Bildern draußen erleichterte ihn.“ (Ebd.: 9)

Die Virtualität der Bilder fordert Bloch auf, die Lebendigkeit der Straßen zu richten. Er ist also ein widersprüchliches Wesen. Sein Verhalten und seine Wahrnehmung zeigen ein Ungenügen an Sozialität und damit eine umfassende Anonymität und Gleichgültigkeit, die die ganze Gesellschaft auf Makroebene auch umfasst. Im Café streitet Bloch mit Menschen. Diese fordern ihn sogar das Lokal zu verlassen. Immer geht er aus dem Café weg. Im Café ist Bloch eine streitende Figur. Handke sagt:

„Wieder im Ort, setzte sich Bloch in ein Café und schaute beim Kartenspiel zu. Er fing mit dem Spieler, hinter dem er saß, zu streiten an. Die anderen Spieler forderten Bloch auf zu verschwinden.“ (Ebd.: 47).

Das Spiel und das Handeln von den Nebenfiguren des Textes scheinen Bloch aggressiv zu machen. Er erträgt also nicht, was die andren machen. Im Café ist Bloch eine Streitfigur, die ihre Gesten nicht zu Ende führt. Im Text wird er als ein Mensch dargestellt, der sich selbst nicht versteht. Dies bezüglich zitiert Handke:

„Er ging in das zweite Café. Dort wollte er den Ventilator abgeschaltet haben. Die Beleuchtung sei außerdem viel zu matt, sagte er. Als die Kellnerin sich zu ihm setzte, tat er nach einiger Zeit, als wollte er den Arm um sie legen; sie merkte, dass er nur so tun wollte, und lehnte sich zurück, noch bevor er deutlich machen konnte, dass er nur so tun hatte wollen. Bloch wollte sich rechtfertigen, indem er den Armwirklich um die Kellnerin legte; aber sie war schon weg. Jetzt hätte Bloch so tun müssen, als wollte er folgen. Aber das war ihm zuviel, und er verließ das Lokal.“ (Ebd.: 48).

Der weitere topographische Ort, der in Handkes Werk bedeutend ist, ist das Hotel. Foucault charakterisiert das Hotel al Ort ohne Ort par excellence. Ein Ort des Hin- und Hergehens. Das Hotel wird von Foucault auch als öffentlicher Platz begriffen. Es ist ein Ruheplatz, in dem mehrere Funktionen und Relationen zum Ausdruck gebracht werden. Handkes Hauptfigur niederlässt sich ständig in ein Hotel. Nach ihrer Entlassung lebt der Hauptprotagonist sogar im Hotel. Dorthin fühlt sich Bloch gut und schläft sogar ein. Handke sagt:

„Der Portier des zweiten Hotels, das in einer Nebengasse lag, führte ihn selber hinauf in das Zimmer. Während der Portier noch am Hinausgehen war, legte sich Bloch auf das Bett und schlief bald ein.“ (Ebd.: 8).

Das Hotel wird auch von Handke als Ort des Nichtgutfühlens und des Skeptizismus geschildert. Bloch verdächtigt alles. Er vertraut niemandem, auch denjenigen, die die Ordnung wie die Gendarmen vertreten. Zusammenhängend sagt Handke:

„Der nächste Tag war ein Samstag. Bloch entschloss sich, einen weiteren Tag im Hotel zu bleiben. Außer einem amerikanischen Ehepaar war er allein im Frühstücksraum; eine Zeitlang hörte er dem Gespräch zu, das er, weil er früher einige Male mit seiner Mannschaft zu einem Turnier in New York gewesen war, leidlich verstehen konnte; dann ging er schnell hinaus, um ein paar Zeitungen zu kaufen. Er faltete sie nicht, sondern trug sie unter dem Arm zum Hotel zurück. Er setzte sich wieder an den Frühstücktisch, den man schon abgeräumt hatte, und entfernte die Anzeigenbeilagen; das bedruckte ihn. Draußen sah er zwei Leute mit dicken Zeitungen gehen. Er hielt den Atem an, bis sie vorbei waren. Jetzt erst bemerkt er, dass es sich um die beiden Amerikaner gehandelt hatte; im Freien hatte er sie, die er vorher nur im Frühstückszimmer, an einem Tisch gesehen hatte, nicht wiedererkannt.“ (Handke, 8)

Neben dem Café spielen die Bahnhöfe in Handkes Text eine wichtige Rolle. Sie entsprechen dem Foucaultschen Heterotopie-Konzept. Sie sind geeignete Beispiele für Heterotopien, die von Foucault als Bewegungs- und Transitorte bezeichnet werden. Der Bahnhof ist demzufolge ein Ort des Treffens mit Unbekannten. Im Bahnhof verhält sich J. Bloch zufälligerweise, als wäre er zuhause. Hier führt er ein „normales“ ein routiniertes Alltagsleben:

„Im Südbahnhof rasierte er sich in der Toilettenanlage mit einem elektronischen Rasierapparat. Er duschte in einer der Duschkabinen. Beim Anziehen las er in der Zeitung den Sportteil und die Gerichtsberichte. Nach einiger Zeit, noch während er las- in den Kabinen ringsum war es ziemlich ruhig-, fühlte er sich plötzlich wohl.“ (Ebd.: 14)

Der Bus ist als Ausgangsort in Peter Handkes Kriminalroman auch von zentraler Bedeutung. Der Bus reist also von einer Stadt zu einer anderen. Die Städte gehören nach Foucault keinem Raum an. Sie entstehen in der Vorstellung des Menschen; sie sind Zwischenräume. Im Bus treffen sich Menschen, genauer gesagt, Reisende. Sie setzen sich nebeneinander und unterhalten sich miteinander, damit sie sich während der Reise nicht langweilen. Die Busreise und Stimmen der Leute scheinen Bloch angenehm zu sein, und stellen eine soziale Brücke dar. Blochs Ausgrenzung und Randexistenz scheinen hier verschwunden zu sein. Handke schreibt:

„Während die übrigen Sitzreihen im Bus die Reisenden nach vorn schauen ließen, standen die beiden Sitzreihen vor ihm einander gegenüber; so unterhielten sich die Reisenden, die hintereinander saßen, fast alle gleich nach der Abfahrt nicht mehr, während die Reisenden vor ihm schon bald weiterredeten. Die Stimmen der Leute waren Bloch angenehm; es erleichterte ihn, dass er zuhören konnte.“ (Ebd.: 25)

Mittels Blochs Reise in den südlichen Grenzort radikalisiert Handke das Foucaultsche Heterotopie-Konzept. Nach Gerdas Ermordung holt Bloch seine Sachen aus dem Hotel. Er nimmt den Reisebus in Richtung Süden, wo eine ihm Bekannte namens Hertha einen Gasthof besitzen soll. Im südlichen Grenzort erfährt Bloch, dass Herthas Gasthaus sich in der Nähe des Grenzübergangs befinde und dass dieser geschlossen sei. (siehe Tyska: 2006). Das Reisen in einen Grenzort ist in Handkes Kriminalroman von höchster Bedeutung. Die Reise an die Grenze ist eine Metapher für eine innere Reise; das ist also ein „Unterwegssein“ in der Sprache.

Bloch hat also keine Ahnung davon, weshalb ihn alles stört, und warum er alle Automatismen des Lebens so bewusst wahrnimmt, aber auch unbeherrscht ablehnt, sogar durch Gewalt. Das Einzige, was er weiß, ist, dass er einen Mord begangen hat; jetzt muss er fliehen, um nicht verhaftet zu werden.

5. Das Haus als klassisches Beispiel einer Heterotopie

Neben dem Hotel spielt das Haus als klassisches Beispiel einer Heterotopie hingegen eine wesentliche Rolle im Text. Das Haus als fester Ort ist in Handkes Werk als Ort des Bruches, des Mordfalls und als Ort der körperlichen und sprachlichen Gewalt dargestellt. Das Haus ist von Peter Handke nur einmal im Text erwähnt. In Gerdas Haus schlafen Handkes Protagonisten miteinander. Am nächsten Morgen erwürgt Bloch Gerda T.: „plötzlich“ (Handke, 20). Der Mord ist hier absurd dargestellt; er hat kein Motiv und keine Bedeutung. Nach der Mordtat verspürt Bloch eine Beklemmung. Blochs Beklemmungsgefühl war so stark, dass er sofort müde wird, also musste er einschlafen. Beim Aufwachen verlässt er Gerdas Haus.

Bei Peter Handke liegt diese Gewaltthematik mit einer traumatischen Erfahrung kausal in Verbindung. Jene Kausalität ist aus einer Reihenfolge und parataktischen Setzung der Gewaltszenen nach der ersten einer Entlassung abzulesen. Die Struktur selbst schafft den Sinn dieser Kausalität und erzählt von Blochs innerer Störungen und Unstabilität. Handke schreibt: „In Gerdas Wohnung und beim Frühstück stört Bloch alles. Das unerträgliche Fremdheitsgefühl noch gewachsen. Er kann sich die Gegenstände in der Wohnung der Frau nicht vorstellen.“ (Ebd.: 20). Bloch ist im Austausch mit der Frau der Entfremdete. Er ist also in der Indifferenz.

Schlussfolgerung

In Die Angst des Tormanns beim Elfmeter handelt es sich um eine metasprachliche Repräsentation von Sprache als Buchstäblichkeit, Unvollstellbarkeit und Unsagbarkeit. Es geht also um das Zustandekommen vom literarischen Diskurs in seiner Vielschichtigkeit, Mehrdeutigkeit und seiner Abhängigkeit von einem Abwärts. Der literarische Diskurs wird hier in seiner Kehrseite verstanden. Es ist die Kehrseite menschlicher Existenz und von Unsichtbarem. Durch diesen Umkehrungsprozess dekonstruiert Handke die allgemeine und symbolische Machtordnung und gründet seine eigene. Sein Schreiben kennzeichnet sich durch das Erinnern. Ein Erinnern, das in Form eines Sprachspiels stilisiert ist.

Anhand dominanter Landschaftsbeschreibungen und Raum-Verschiebungen ist es dem Autor gelungen, den Foucaultschen Heterotopie-Begriff programmatisch zu poetisieren Diese Heterotopien sind anhand der irrationalen, verrückt gewordenen und sprachlosen Hauptfigur Bloch verkörpert. Die Handkeschen Innen- und Außenlandschaften haben multiple Funktionalitäten. Sie bringen den Handkeschen Blick gegen den Strich ins Wort (vgl. Benjamin 1974: 697). Sie dekonstruieren eine sprachliche Ordnung des Logos. Sie lassen den literarischen Diskurs auf seinen Ursprung und Gründungsmoment zurückkehren.

Barthes, Roland. 2006. Das Rauschen der Sprache: Kritische Essays IV: Aus dem Französischen von Dieter Hornig. Suhrkamp.

Benjamin, Walter. 1974. „Über den Begriff der Geschichte“. In: Ders. Gesammelte Schriften I. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Foucault, Michel 2014. Die Heterotopien: Der utopische Körper. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Handke, Peter. 1970. Die Angst des Tormanns beim Elfmeter. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Horvӑth, Krisztina. 2005. Warum versagt die Sprache ?: Kommunikationsstörung in Peter Handkes Werk. [En Ligne]. URL: https://magyar-irodalom.elte.hu/palimpszeszt/11_szam/02.htm , Zugriffsdatum 8 janvier 2023.

Normand, Claudine. 1976. Métaphore et concept, Presse universitaire de France.

Strinz, Bastian. 2010. Raum und Zeitkonstruktion bei Peter Handke: Die Wiederholungund Versuch über Jukebox [En Ligne]. URL: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/germanistik/mauerschau/mauerschau5_strinz.pdf Zugriffsdatum 8 janvier 2023.

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