Einleitung
Anfang des 20. Jahrhunderts vollzog sich in der Philosophie ein weit reichender Wandel - später Linguistic Turn genannt. Die Hinwendung zur Sprache und insbesondere zu ihrem alltäglichen Gebrauch führte zu einer Veränderung der Philosophie insgesamt. Ludwig Wittgenstein sah Sprache in seinem "Tractatus Logico Philosophicus" von 1918 zunächst lediglich als Abbild der Wirklichkeit. In Cambridge entwickelte er die Idee, dass Welt und Sprache eine gemeinsame logische Struktur haben müssten. Von diesen theoretischen Grundlagen der modernen Sprachphilosophie rückte er jedoch später wieder ab1 und schlug einen anderen Weg ; Deswegen wird oft gesagt, Wittgenstein habe zwei völlig entgegengesetzte Philosophien von der Sprache entwickelt. Sein Frühwerk –Der Traktatus logico- philosophicus- (Abk. TLP- dt. Logisch- philosophische Abhandlung), kurz nach dem Ersten Krieg fertiggestellt und 1921 veröffentlicht, bei dem der Einfluss der Logik schon in der Präsentation sichtbar wird2, ist stark von Russel beeinflusst. In seiner mittleren Schaffensphase allerdings beginnt sich Wittgenstein der Sprache von einem anderen Standpunkt aus zu nähern. Entsprechend setzt eine Umorientierung ein, die in einem neuen Konzept mündet, und exemplarisch in den „Philosophischen Untersuchungen“ als Sprache im Sinne von Gebrauch zu finden ist, wovon die beiden genannten Werke auf unterschiedliche Weise Zeugnis ablegen. Darüber hinaus hat Wittgenstein aber auch auf einer Vielzahl anderer philosophischer Gebiete gearbeitet. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang seine Arbeiten zur Philosophie der Mathematik und zur formalen Logik, zur Philosophie des Geistes („Über die Philosophie der Psychologie“) und zur Erkenntnistheorie unter anderem : Wahrnehmungstheorie). Die Epistemologie im Kontext sprachphilosophischer Überlegungen hat Wittgenstein ebenfalls breit erörtert, vor allem ist hier sein aus dem Nachlass herausgegebener Text „Über Gewißheit“ (fortan :ÜG) anzuführen, der insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten mit in den Mittelpunkt der Wittgenstein-Forschung gerückt ist. Ferner gibt es von Wittgenstein einige wenige Überlegungen zur Ethik2 und, einige mehr, zur Philosophie der Religion sowie zur Ästhetik3Warum befasste sich Wittgenstein eigentlich mit Sprachphilosophie ? Das liegt an seiner Hauptidee, Sprache und Denken seien unauflösbar miteinander verbunden, und da Philosophieren Denken bedeute, müsse Philosophieren Sprachanalyse bzw. Sprachphilosophie sein.
Kurzer Überblick über Wittgensteins Leben
Ludwig Wittgenstein (1889–1951) war ein Österreichisch-Britischer Sprachphilosoph und Logiker. Bevor er sich der Philosophie zuwandte, war er Ingenieur. Er hatte einen großen Einfluss auf die Sprachanalytik und dadurch auf die Philosophie des 20. Jahrhunderts insgesamt. Stammte aus einer Großindustriellenfamilie und hatte zu dreiviertel jüdische Vorfahren. Verschenkte sein Millionenerbe (größtenteils allerdings an seine sowieso reichen Geschwister) und lebte in großer Bescheidenheit. Litt sein Lebenslang unter Depressionen und war häufig am Rande des Selbstmordes. (Drei seiner Brüder wählten den Freitod).4
1. Die erste Sprachphilosophieauffassung (Wittgenstein I)
Manchmal können große Philosophien sehr einfach wiedergegeben werden: Die Welt ist wie ein Haus, das wir uns bauen. Der Baustoff ist die Sprache. Und: "Die Grenzen der Sprache sind die Grenzen der Welt." In diesem Kernsatz kommt Publications of the Austrian Ludwig Wittgenstein Society.New Series Volume 9. das Denken Ludwig Wittgensteins zum Ausdruck5 Ludwig Wittgenstein hat zwei Häuser gebaut: Das eine ist das Wohnhaus seiner Schwester Margarete Stonborough-Wittgenstein in Wien, ersonnen im Stile des Kubismus, gehalten in schnörkellos strengen Linien. Das andere heißt Tractatus logico-philosophicus, es ist das einzige von Wittgenstein zu Lebzeiten publizierte Buch – und eines der wichtigsten Werke der Philosophie des 20. Jahrhunderts6 Der TLP beschränkt sich nicht auf sprachphilosophische Themen, sondern umfasst Gedanken zu Ontologie, Logik, und am Ende des Werkes auch zu Ethik und Religionsphilosophie. Die Sprachphilosophie des TLP (Wittgenstein1) kann durch folgende drei Grundüberzeugungen charakterisiert werden:
-
Sprache hat eine logische Struktur.
-
Sprache hat eine bestimmte Funktion : Abbilden.
-
Was sinnvoll gesagt werden kann, ist begrenzt.
Die auf Aristoteles zurückzuführende philosophische Tradition, die Substanz und Akzidens bzw. Ding und Eigenschaft als die grundlegenden Kategorien der Ontologie betrachtet, lehnt Wittgenstein im TLP ab und propagiert statt einer Ding-Eigenschaft-Ontologie eine Ontologie der Tatsachen. Dies bedeutet, dass neben Dingen auch Tatsachen zu den ontologischen Arten des Seienden (zu den unverzichtbaren Entitäten) gehören. Außerdem haben die Tatsachen in Wittgensteins Ontologie eine Priorität gegenüber den Dingen ; die Beschaffenheit der Welt lässt sich nur als die Gesamtheit der Tatsachen (nicht der Dinge) adäquat charakterisieren7 Die Welt bzw. die Elemente der Welt sind gemäß dem TLP Gegenstände, die in der Sprache als dem Bild der Welt abgebildet werden können. Entsprechend lassen sich komplexe Sachverhalte zergliedern, so dass man zu einfachen Sachverhalten und entsprechenden einfachen Sätzen über diese gelangt (Atomismus). Die Verbindung zwischen Namen und Gegenständen ist das Fundament der logischen Abbildung der Wirklichkeit in der Sprache. Die Zuordnung besteht allerdings nicht unabhängig von der Ebene der Elementarsätze und Sachverhalte. Dies wird durch das folgende Satzzusammenhangprinzip deutlich:
Nur der Satz hat Sinn ; nur im Zusammenhang des Satzes hat ein Name Bedeutung8 (TLP 3.3)
Der parallele Aufbau von Sprache und Welt
Sprache |
Das mit Sätzen Dargestellte |
Wirklichkeit |
Komplexe Sätze |
Sachlagen |
Komplexe Tatsachen |
Elementarsätze |
Sachverhalte |
Einfache Tatsachen |
Namen |
Gegenstände9 |
Die Sprache steht aber nicht nur mit der Welt in Verbindung, sondern auch mit Gedanken.
Wie lässt sich dieser Sachverhalt erläutern?
Die Abbildungen der Welt und ihrer Tatsachen finden in Gedanken oder in sinnlich wahrnehmbarer Form, in Sätzen statt. Dabei sind Gedanke und Satzstruktur gleich. (vgl. TLP 3.2). Die Welt wird in Gedanken derdann in Sätze transformiert. Sowie die Dinge zu Tatsachen verbunden werden, so gehören Namen in Sätze, innerhalb derer sie verbunden werden. Dies führt jedoch zu einer wichtigen Frage: besteht eine adäquate Übereinstimmung zwischen Ding und Name, Satz und Tatsache bzw. Sprache und Welt? Gehen wir vom Satz als der kleinsten Form des Denkens und Ausdrückens aus:
Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit. Er zeigt die logische Form der Wirklichkeit, hat nämlich eine Abbildfunktion. Wird er ihr gerecht, ist er wahr, andernfalls ist er falsch. Die Konsequenz, die von Wittgenstein hier gezogen wird, besagt also: Alle wahren Sätze zusammen ergeben eine vollständige Weltbeschreibung. Wenn die Naturwissenschaften infolgedessen alle wahren Sätze aufgestellt hätten, wäre die Welt vollständig erfasst.
Die Sätze der Philosophie sind im Gegensatz zu denjenigen der Naturwissenschaft keine deskriptiven, einfachen und beschreibenden Sätze, sondern durchaus komplex und zusammengesetzt, denn sie versuchen formale Übereinstimmungen zwischen Satz und Wirklichkeit festzuhalten und deswegen lassen sie sich in Teilsätze oder Elementarsätze zerlegen. Daher ist ein zusammengesetzter Satz wahrheitsfunktional analysierbar mit Hilfe von Wahrheitswerttabellen. Dies soll anhand eines Beispiels einer logischen Konditionalproposition beleuchtet werden:
Wenn ich Flügel hätte, würde ich fliegen.
Der Satz ist richtig, weil die formallogische Beziehung zwischen Flügel und fliegen richtig ist, obwohl ich in der Realität weder Flügel habe noch fliegen kann. Die Sätze der Philosophie bzw. der Logik beschreiben also nicht die Welt, sondern sie handeln von der Form der Sätze bzw. der Propositionen.
Aufgrund des oben skizzierten Zusammenhangs von Welt und Sprache zieht Wittgenstein folgende Konsequenzen:
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. (TLP 5.6)
Dieser Spruch erinnert uns an die zehn aristotelischen Kategorien, die gleichzeitig logisch und ontologisch sind, d.h. sie beschreiben nicht nur die Vernunft, sondern dazu noch das Dasein. Die Welt nach Aristoteles ist das, was eigene Vernunft durch ihre angeborenen Kategorien erfassen und durch die Sprache abbilden kann. Die Vernunft ist demzufolge die einzige Tür zur Welterkenntnis, und die Welt ist demgemäß nur das, worauf meine Vernunft zugreifen kann. Außerhalb der eigenen Vernunft bzw. der eigenen Sprache gibt es kein Sein. So sind Welt, Sprache und Vernunft drei Synonyme für eine einzige Wahrheit.
„In der Welt ist alles, wie es ist und geschieht alles, wie es geschieht ; es gibt in ihr keinen Wert“ (TLP 6. 41).
Aus diesem Spruch zieht Wittgenstein die Annahme, dass es auch keine Sätze der Ethik geben kann, denn
„Sätze können nichts Höheres ausdrücken“. (TLP 6. 42) So auch die Annahme :
„Gott offenbart sich nicht in der Welt“. (TLP 6.43)
Sätze über Sinn, über Werte oder gar über weltexterne Wesen wie Gott kann es demzufolge nicht als sinnvolle Sätze geben (so Wittgenstein). Damit ist gemäß dem TLP der Umfang der sinnvollen Sätze allerdings ausgeschöpft, und damit werden Sätze der Ethik, der Metaphysik und der Religion als nicht sinnvoll betrachtet. Gemäß dem TLP scheint die Sprache genau eine Funktion zu erfüllen, nämlich das Abbilden der Empirie. Wittgenstein I engt Sprache auf ihre deskriptive Funktion ein. Psychologischen Vorgängen wie Glauben, Denken, Vorstellen, Träumen etc. liege demzufolge keine psychische Substanz zu Grunde, also keine Seele. All diese Vorgänge sind aus objektiven inneren Bildern zusammengesetzte Sachverhalte. Das Subjektive wird somit objektiviert.
Infolgedessen ist das Sprechen über innere psychische Vorgänge für Wittgenstein I ein Sprechen über äußeres Verhalten; Die Logik sei der Schlüssel zu aller Erkenntnis – sowie zu deren Grenzen. Der Tractatus schließt mit dem oft zitierten Satz: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“.
In seinem Vorwort zum TLP hatte Wittgenstein seine Gewissheit bekundet, die philosophischen Probleme im Wesentlichen gelöst zu haben. Daraus hatte er schon bald nach Fertigstellung des Textes im August 1918 radikale Konsequenzen gezogen, die Philosophie aufgegeben und sich zum Volksschullehrer ausbilden lassen. Als solcher arbeitete er von 1922 bis 1926 in verschiedenen Orten Niederösterreichs. Erst gegen Ende der 20er Jahre näherte er sich wieder philosophischer Arbeit, bevor er Anfang 1929 zu dieser nach Cambridge zurückkehrte.10
2. Selbstkritik und Umkehrung
Während seiner vieljährigen Arbeit als Volksschullehrer, beobachtete Wittgenstein, wie Kinder den Umgang mit der Sprache lernen, und dabei stellte er fest, dass Wörter mehrdeutig und vage seien, sodass ihre Bedeutung nicht durch Logik ermittelt werden kann, sondern nur indem man erkennt, wie sie in den alltäglichen Situationen verwendet würden. Er wandte sich der Untersuchung der Alltagssprache zu. Was er nun erdachte, stand in starkem Kontrast zu seinen früheren Auffassungen. So kam er zu dem Ergebnis, dass das konstruierte Modell der Sprache keineswegs der natürlichen Sprache entspricht.
Wittgenstein äußert sich dazu selbstkritisch und betont nachdrücklich, dass Sprache in sich selbst ein Referenzsystem darstellt, in dem Bedeutungen von Begriffen je nach ihrer Stellung im Satzbau variiert werden können. Diese Variation erklärt die Unterschiede der Bedeutung. "Der Agens ist der Täter einer Handlung. Und alle Sprachen haben eine Methode, die Täterschaft gewissermaßen zu bezeichnen. Zum Beispiel wenn ich dieses Buch nehme, dann kann ich sagen : ’Das Buch ist mir aus der Hand gefallen’ oder ’Ich habe das Buch fallen gelassen’. Im zweiten Fall sage ich, dass ich der Täter war, im ersten Fall ist das eher nicht so klar", so Manfred Krifka, Professor für Sprachwissenschaftler an der HU Berlin.11
Aus dieser neuartigen Auffassung ergibt sich, dass die normale Sprache über vielmehr verschiedene Funktionen verfügt, als der TLP angibt : Eine Äußerung wie „dieser Student ist fleißig“ kann je nach Situation als eine Lobrede, als eine Bewunderung, als Witz, aber auch als Neid…usw. verstanden werden.
Somit ist es keinesfalls ausgemacht, dass ein nichtbeschreibender Sprachgebrauch (wie Aufforderungen, Bitten, fiktionale Sätze…usw. sinnlos ist.
3. Die neue Sprachphilosophieauffassung (Wittgenstein II)
Wittgensteins Spätphilosophie ist das Ergebnis einer langen und intensiven Beschäftigung mit Fragen nach der Bedeutung von Zeichen, nach dem Status von Regeln und der Rolle des Meinens (bzw. Denkens). Erst 1946 waren die Philosophischen Untersuchungen im Wesentlichen fertiggestellt, wobei sie erst 1953, zwei Jahre nach seinem Tod, veröffentlicht wurden. Die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens ist durch die Regeln der Grammatik (die Regeln der Syntax) festgelegt. Durch diese Überlegungen Anfang der dreißiger Jahre wird die Abbildtheorie völlig aufgegeben, ohne dass schon die Gebrauchstheorie der Bedeutung aus den PU entwickelt wäre. Dieses Zwischenstadium zeichnet sich durch Wittgensteins Behauptung aus, dass die Bedeutung von Zeichen durch die syntaktischen Regeln eines Sprachsystems festgelegt wird, ohne noch die Frage zu beantworten, wie die syntaktischen Regeln eines Sprachsystems selber verbindlich festgelegt werden können. In den PU vertritt er dann die These, dass Regeln erst durch die Gepflogenheiten in einer Gemeinschaft festgelegt werden und entwickelt damit die Gebrauchstheorie der Bedeutung, der gemäß die Bedeutung von sprachlichen Zeichen durch ihren Gebrauch, durch die Gepflogenheiten der Sprachbenutzer, festgelegt wird. Jedes sprachliche Zeichen gehört demgemäß nicht nur in einen durch grammatische Regeln erlaubten Zusammenhang, sondern darüber hinaus in einen Ver wendungs zusammenhang. Beides zusammengenommen, also alle Zusammenhänge, die die Bedeutung eines Zeichens bestimmen, nennt Wittgenstein die mit einem Zeichen verbundenen Sprachspiele.12
PU 7 : Ich werde auch das Ganze : der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das "Sprachspiel" nennen.
Was die Ungenauigkeit der Wörter anbelangt, so meint Wittgenstein, dass jene diese nicht unnütz mache, im Gegenteil : Nur wegen ihrer Unschärfe und Vagheit könnten wir Wörter sinnvoll verwenden. Wenn man die Bedeutung eines Wortes nur an seinem Gebrauch in der Sprache festmacht, wird dann die Sprache allerdings autonom. Sie sei von der Wirklichkeit unabhängig. War Wittgenstein I weitgehend ein naiver Realist, so entwickelt Wittgenstein II konstruktivistische Auffassungen.
Der Satz sei ein Instrument und sein Sinn sei seine Verwendung.
Demzufolge zeichnet Wittgenstein schon am Anfang der PU ein bestimmtes Bild von Sprache nach :
-
Sprache erscheint als ein Produkt des Spracherwerbs (und nicht etwa als Produkt einer feststehenden Grammatik in Verbindung mit Wortlisten, die etwas bezeichnen oder dergleichen).
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Mit Sprache wird offenbar praktisch gehandelt.
Doch, obwohl es viele Unterschiede zwischen TLP und PU gibt, besteht doch eine bestimmte Gemeinsamkeit zwischen beiden Werken, nämlich : Beide Sprachphilosophien versuchen, philosophische Probleme sprachkritisch zu lösen. In diesem Zusammenhang sagt Wittgenstein :
„Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“. (PU I, 109)
Jene Aspekte werden folgendermaßen verdeutlicht werden :
Wittgensteins sprachphilosophisches Ziel ist es zu erforschen, was es heißt, wenn wir sagen, dass ein Wort Bedeutung hat. Er interessiert sich also ursprünglich für die Semantik und nicht für Pragmatik oder für sprachliche Handlungstheorie. Doch auf der Suche nach einer Beantwortung der Frage nach der Bedeutung kommt er in seinem Spätwerk notwendigerweise zur theoretischen Beschäftigung mit sprachlichem Handeln. Die Verbindung zwischen Bedeutungstheorie und sprachlicher Handlungstheorie ist in dem bekannten Schlagwort zusammengefasst :
„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ (PU I, 43).
So neben der Abbildtheorie der Sprache, die sich in einer extensionalen Semantik niederschlägt (die Bedeutung eines Wortes ist die Menge der Dinge, die dadurch bezeichnet werden), greift Wittgenstein II zugleich alle Bedeutungstheorien an, die sprachliche Bedeutung an einer geistigen Aktivität festmachen wollen, die auf einer assoziativen Verbindung zwischen Namen und Ding beruht, so dass „das Bild des Dinges vor die Seele tritt, wenn es (das Kind) das Wort hört“. In den PU widerlegt Wittgenstein diese psychologisch-subjektiven Bedeutungstheorien.
Zwecks einer konkreten Erläuterung der neuen Sprachauffassung, beginnt Wittgensteins neuer Text (PU) mit folgendem Beispiel : jemand wird in einen Laden geschickt und verlangt fünf rote Äpfel. Der Verkäufer holt fünf rote Äpfel. Er hat den Kunden also offenbar verstanden. Welche Bedeutung hat nun der Ausdruck fünf rote Äpfel ? Zunächst sind fünf rote Äpfel eine Nominalphrase. In der Abbildtheorie der Sprache wäre seine Bedeutung (extensional) mit der Menge aller roten Äpfel identisch, oder (intensional) mit einer gearteten mentalen Kombination der Konzepte von „Äpfelheit“, „Fünfheit“ und „Rotheit“ bzw. der Assoziationen, die Sprecher und Hörer mit den entsprechenden Wörtern verbinden.
Aber kann man wirklich sagen, dass der Kunde im Laden Gegenstände benennt ? Offenbar nicht, denn die Äußerung verstehen, heißt ja nicht (nur) zu erkennen, welche Gegenstände damit gemeint werden, sondern (auch) was der Verkäufer tun soll. Der Ausdruck ist zugleich ein Name und ein „Satz“. Es ist im Beispiel (im Kontext) nicht möglich zu fragen, ob der Kunde eine wahre oder falsche Äußerung produziert. Nehmen wir die Äußerung aus ihrem Kontext, so sehen wir andererseits, dass sie ganz unterschiedliche Verwendungsmöglichkeiten hat. So können wir sie auch verwenden, um eine Mitteilung zu machen (etwa als Antwort auf die Frage : was hast du heute zu Mittag gegessen ? etwas zu behaupten (was wiegt mehr : fünf rote Äpfel oder 10 grüne Tomaten ?) Wittgenstein nennt diese verschiedenen Verwendungskontexte Sprachspiele. Die Sprachspiele bestimmen die Verwendung eines Ausdrucks. Im vorliegenden Sprachspiel des Einkaufens wird (5 rote Äpfel) verwendet, um dem Verkäufer mitzuteilen, was man kaufen möchte (hier gibt es keinen Wahrheitswert). In diesem Zusammenhang führt Wittgenstein den Begriff der Lebensform, den er eher auf den kulturellen Hintergrund bezieht, d.h. auf das fraglos Gewisse, das die Bedeutung von Äußerungen prägt.
Trotzdem bleibt die folgende Frage offen : Wie bekommen die einzelnen Wörter, die in der Äußerung verwendet werden, ihre Bedeutung ?
Gemäß der schon angeführten Abbildtheorie bekommt der Gegenstand sein Namensschild verliehen13, d.h. jemandem wird ein Gegenstand gezeigt und dazu der Name des Gegenstandes genannt. Auf diese Weise lernt er z.B., was ein Apfel ist. Wittgenstein II lehnt diese Theorie ab. Er geht von einem Beispiel aus : Ein Franzose lernt zwar, dass das, was im Französischen mit „pomme“ bezeichnet wird, im Deutschen Apfel heißt. Woher weiß er aber, was „pomme“ bedeutet ? Nach Wittgenstein II nicht mehr dadurch, dass er mit dem entsprechenden Gegenstand eine Verbindung stellt, sondern dadurch, dass er Weiß, wie man dieses Wort gebraucht.
Das Bemühen der Semantiker und Logiker, scharfe Grenzen um die Begriffe zu ziehen, führt lediglich dazu, dass ihre Begriffe nicht mehr die der natürlichen Sprache sind (Dasselbe gilt auch für die Bedeutung von Sätzen). Wenn ich beispielsweise sage ich habe Schmerzen oder ich denke, argumentiert Wittgenstein, dass jeder derartige Satz nur dann bedeutungsvoll wird, wenn es eine Verwendung gibt, die ihn sinnvoll macht.
Ein anderes Beispiel bietet das Verb „meinen“. In den traditionellen Bedeutungstheorien (wie übrigens auch in der Sprechakttheorie) kommt ihm eine große Rolle zu, denn es verleiht den Wörtern angeblich erst Sinn. Wittgenstein bestreitet das schon deshalb, weil man nicht mit jedem Ausdruck meinen kann, was man will, und weil ein Ausdruck nicht deshalb seine Bedeutung verliert, weil man im Innersten seines Herzens damit gar nichts gemeint habe. Für die Bedeutung ist das Meinen gleichgültig. Infolgedessen kann Bedeutung nicht das Resultat eines Aktes des Meinens sein. Was jener Akt sein soll, können wir im Gespräch nicht erkennen, denn wir können unseren Gesprächspartner nicht in den Kopf sehen, und sein Meinen kann deshalb auch nicht für die Bedeutungsfähigkeit einer sprachlichen Äußerung verantwortlich sein. Dass Sprache Bedeutung hat, zeigt sich vielmehr daran, dass Äußerungen verstanden werden. Dieses Verstehen ist im Gegensatz zum Meinen nicht versteckt, sondern offen sichtbar, vor allem daran, wie der Andere auf das Gesagte reagiert (wenn er z.B. Äpfel aus der Kiste holt).
„Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben ? Im Gebrauch lebt es“ (I, 433). Dieses Handeln ist bedeutungsvoll, wenn wir sehen können, dass es verstanden worden ist14
So treten in den PU an die Stelle der Elementarsätze des Tractatus umfangreiche Satzsysteme, Wittgenstein II nennt sie auch Kalküle, die nach strengen Regeln funktionieren. Eine dieser Regeln ist die Grammatik. Die Mathematik sei auch Kalkül, also bestehe aus umfangreichen Satzsystemen. Der Mathematiker sei demzufolge ein Erfinder, kein Entdecker. Wörter würden wir also erst in intersubjektiver Kommunikation erlernen und ihre Bedeutung erfahren.
Schlussfolgerung
Wittgensteins philosophische Methode ist nicht nur in der Frühphilosophie, sondern auch in der Spätphilosophie die Sprachanalyse, wobei er allerdings hier etwas ganz anderes darunter versteht als im Tractatus. Sprache analysieren heißt, das Sprachspiel offenlegen, die Verbindung der Begriffe übersichtlich darstellen und so die philosophischen Probleme, die durch die falsche Auffassung von Sprache und Bedeutung entstanden sind, zum Verschwinden zu bringen. Auch anders als im Tractatus, wird in den PU jedoch nicht eine einzige, logisch korrekte Methode vorgegeben, sondern eine Vielzahl von Möglichkeiten offengelassen, um an philosophische Probleme heranzugehen, wobei jedoch alle zu dem Ziel führen sollen, durch einen therapeutischen Umgang vertraute Phänomene in neuem Licht zu sehen und so die Probleme aufzulösen. Somit kann die Philosophie auch keine neuen Entdeckungen machen, sondern nur falsche Auffassungen korrigieren (NEWEN, Albert, 249f) ; PU 126 ’Philosophie’ könnte man auch das nennen, was vor allen neuen Entdeckungen und Erfindungen möglich ist.
Es gibt nicht eine Methode der Philosophie, wohl aber gibt es Methoden, gleichsam verschiedene Therapien. (PU 133).
Philosophische Probleme entstünden also dadurch, dass Wörter aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang, ihren ursprünglichen Sprachspielen herausgerissen würden und nicht berechtigt in andere Zusammenhänge übertragen würden. So will Wittgenstein II die Wörter von ihrer metaphysischen auf ihre alltägliche Verwendung zurückführen und damit philosophische Probleme zum Verschwinden bringen ; wir führen die Wörter von ihrer metaphysischen, wieder auf ihre alltägliche Verwendung zurück (PU 116).
Inwiefern sei das denkbar und möglich ?
Wittgenstein II wendet sich gegen eine realistische Vorstellung von der Bedeutung der Wörter, wie sie Wittgenstein-1 selbst noch vertreten hatte. (Ein Wort steht für ein reales Ding) und behauptet, dass philosophische Probleme durch die Vieldeutigkeit der Sprache entstünden.
Die neue Auffassung : „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ löst nicht die philosophischen Probleme wie Wittgenstein selbst betont, sondern bringt sie zum Verschwinden. Doch dies setzt uns einer Relativität, sowohl der Sprache als auch der Philosophie aus, denn die Sprachspiele, die Kontexte der Wortverwendung bzw. der Wortbedeutung bilden, verändern sich nicht nur von einer Gemeinschaft zu einer anderen, sondern von einem Zeitraum zu einem anderen, was zu einer relativen ungenauen Sprachphilosophie führt. Die neue Sprachauffassung Wittgensteins II steht zwar im Einklang mit der Vieldeutigkeit der Sprache, erzeugt jedoch neue Probleme der Ungenauigkeit und der Relativität in Bezug auf die Bedeutung der Satzsysteme oder Kalküle, die abgesehen von der Mathematik und der grammatischen Hochsprache, nicht nach strengen Regeln funktionieren. Diese Fakten lassen sich ausführlicher durch folgende Teilfragestellungen zusammenstellen :
Inwiefern kann man die Sprachphilosophie auf eine Analyse der verwendeten Alltagssprache reduzieren ? Soll die Hochsprache weiterhin der Alltagssprache unterziehen ? Was sind die Konsequenzen, die davon gezogen werden ? Hat die Spätphilosophie Wittgensteins seine Frühphilosophie komplett überholt, so dass man zwangsläufig zwischen den beiden wählen soll ? Oder ist eine Versöhnung dazwischen möglich ?
Solche Fragestellungen eröffnen Tür und Tor zu einer tieferen kritischen Untersuchung Wittgensteins Denkens, die erst im Rahmen einer umfangreicheren akademischen Arbeit weiterhin durchgeführt werden sollte.